Spannungen zwischen Deutschland und Türkei Merkel droht mit Abzug der Bundeswehr aus Incirlik

Brüssel · Angela Merkel versucht auf dem Nato-Gipfel in Brüssel noch einmal die Türkei zum Einlenken wegen des Besuchsverbots für deutsche Abgeordnete in Incirlik zu bringen und droht mit Abzug der Bundeswehr. Ob Erdogan einlenkt?

Die Ansage ist glasklar. Recep Tayyip Erdogan hat die Wahl. Angela Merkel hat das neue Hauptquartier der Allianz noch nicht betreten, da macht sie schon deutlich, was sie von ihrem Treffen mit dem türkischen Präsidenten erwartet: Reisefreiheit für deutsche Abgeordnete auf den Luftwaffenstützpunkt Incirlik.

Sollte Erdogan seiner Linie treu bleiben und vom Besuchsverbot nicht abrücken, sei die Haltung innerhalb der Bundesregierung besprochen. Sie werde im Gespräch mit Erdogan „sehr deutlich machen“, dass es „für uns unabdingbar“ sei, „dass unsere Soldaten besucht werden können durch die Mitglieder des Bundestages“, schließlich habe Deutschland eine Parlamentsarmee.

Sollte Erdogan bei seiner Weigerung bleiben, liegen die Karten auf dem Tisch: „Ansonsten müssen wir Incirlik verlassen. Und das ist sozusagen konstitutiv für das Tätigwerden der Bundeswehr.“

Gespräch dauerte nur wenige Minuten

Das Gespräch zwischen Merkel und Erdogan am Rande des Nato-Treffens dauert dann nur wenige Minuten. Die Claims sind abgesteckt. Beide hätten den Wunsch geäußert, die deutsch-türkischen Beziehungen zu verbessern, heißt es nachher. Mehr ist gegenwärtig offenbar nicht zu machen, auch wenn Merkel die Dinge als „misslich“ und das Besuchsrecht als „unabdingbar“ bezeichnet hat.

Jetzt soll es weitere Gespräche, aber nicht noch ein halbes Dutzend neuer Anläufe geben. Wie schon vor einem Jahr beim Nato-Gipfel in Warschau gibt Erdogan auch in Brüssel nicht nach. Damals versuchte Merkel dem türkischen Präsidenten zu erklären, dass eine Parlamentsarmee nun einmal Besuch von jenen erhalten müsse, die sie in die Auslandseinsätze schickten: die Abgeordneten des Bundestages. Dies sei für sie nicht verhandelbar. Es half nicht. Damals hatte sich der Sultan aus Ankara über die Armenien-Resolution des Bundestages geärgert, in der das deutsche Parlament den Massenmord an bis zu 1,5 Millionen Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord einstufte.

Ankara gibt sich verstimmt

Erst als die Bundesregierung diese Resolution öffentlich als rechtlich nicht bindend bezeichnet hatte, gab Erdogan nach und ließ Bundestagsabgeordnete nach Incirlik. Im jüngsten Fall gibt sich Ankara verstimmt wegen des Asyls für türkische Offiziere in Deutschland, die von Erdogan verdächtigt werden, den Putsch gegen ihn unterstützt zu haben.

Als wäre der Ärger über das Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete in Incirlik nicht genug, verweigerte Ankara in dieser Woche auch noch einer weiteren Gruppe von Bundestagsabgeordneten um die Vize-Präsidentin Claudia Roth die Einreise ins Land. Roth und Mitstreiter hatten sich eigenständig von der innenpolitischen Lage in der Türkei ein Bild machen wollen – gerade nach dem von Erdogan knapp gewonnen Verfassungsreferendum.

260 Soldaten in Incirlik stationiert

Mit diesem Votum im Rücken reiste der zunehmend autokratisch herrschende Erdogan in Brüssel an. Erst ein Besuch bei der Europäischen Union, mit der die Gespräche über einen späteren Beitritt zur EU faktisch zum Erliegen gekommen sind. Dann weiter zum Treffen der Staats- und Regierungschefs der Nato, wo die Allianz förmlich den Beitritt des gesamten Bündnisses zur Anti-IS-Koalition in Irak und Syrien beschließt. Die Nato will dabei ihre Expertise als Militärbündnis einbringen, aber sich nicht an Kämpfen gegen den IS beteiligen.

Die Bundeswehr hat am türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik 260 Soldaten stationiert und unterstützt die internationale Koalition mit einem Tankflugzeug sowie mehreren Aufklärungsjets vom Typ „Tornado“ in deren Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“. Weil Erdogan nicht nachgibt, stehen die Zeichen aktuell auf Abzug.

Vergangene Woche waren Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sowie ein deutsches Vorauskommando bereits in Jordanien, wohin das deutsche Kontingent ausweichen könnte. Sollte Erdogan in Sachen Incirlik nicht einlenken, schloss Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) auch Folgen für den Einsatz der Awacs-Aufklärungsflugzeuge vom türkischen Konya nicht aus, mit dem die Nato gleichfalls den Kampf gegen den IS unterstützt.

Auch dort könnten Bundestagsabgeordnete die Soldaten der Bundeswehr besuchen wollen. Insofern hängen beide Einsätze zusammen. Was, wenn Erdogan auch hier Nein zu einem Besuch sagt? Bei Awacs stellt Deutschland rund ein Drittel der Besatzungen. Bei einem Abzug der deutschen Soldaten wäre der Awacs-Einsatz insgesamt gefährdet.

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