Kommentar zum Brexit Langer Weg ins Aus

Meinung | Brüssel · Seit Montag wird aus „Alle für einen“ die bittere Umkehrung „Einer gegen alle“. Und es sieht nicht so aus, als könne London auch nur einen Blumentopf gewinnen, kommentiert Detlef Drewes.

Es ist natürlich erfreulich, wenn am Anfang eines Scheidungsverfahrens wenigstens noch ein paar verbindliche Worte gesagt werden. Am besten so etwas wie „Wir bleiben Freunde“. Jeder ahnt, was davon zu halten ist: nichts.

Großbritannien und die Europäische Union verhandeln seit gestern über nicht weniger als das Ende einer 44-jährigen Gemeinschaft, heraufbeschworen nicht aus vernünftigen politischen oder ökonomischen Gründen, sondern weil ein Premierminister sich parteiintern verzockt hatte. Schließlich wollte er nicht die EU verlassen, sondern nur ein paar Widersacher aus den eigenen Reihen mundtot machen. Doch nun ist ein Prozess in Gang gesetzt worden, der nur mit einer Trennung enden kann.

Die Nettigkeiten werden schnell vergessen, wenn es ins Detail geht. Denn die bisherigen Freunde wollen zwar Partner bleiben, aber auf dem Weg dahin müssen sie Gegner werden. Die Vertreter des Vereinigten Königreiches ahnen längst, dass sie sich auf höchst unsicheres Eis begeben. Das Verlassen des Binnenmarktes, die Aufkündigung der Zollunion, der offenkundige Bruch zwischen Europa und den protektionistisch ausgerichteten Vereinigten Staaten – das alles isoliert London mehr, als man zunächst gehofft hatte.

Kein eigenes Konzept

Kein Wunder, dass die britischen Vertreter in Brüssel praktisch mit leeren Händen dastanden. Außer ein paar Floskeln gibt es kein eigenes Konzept. Das ist nicht gut. Auch für die EU nicht. Ob die sich tatsächlich in einer stärkeren Position wähnen darf, kann man annehmen, sollte man aber bezweifeln. Aber das wird nur möglich sein, wenn die 27-er Gemeinschaft zusammenhält. Dies ist derzeit der Fall, weil der Brexit und der Rückzug der USA auf sich selbst den Druck von außen erhöhen. Ob es dabei bleibt, steht in den Sternen. Zu unterschiedlich sind die Interessen, zu ausgeprägt die Neigung, sich zu Hause gegen Brüssel in Stellung zu bringen.

So oder so fühlt sich dieser Tag falsch an. Das liegt nicht nur daran, dass die EU „historische Tage“ bislang stets dann beschwor, wenn es Fortschritte gab. Dieses Mal sieht alles nach einem Rückschritt aus, auch wenn das noch nicht sicher ist. Denn die 27 verbleibenden Familienmitglieder scheinen entschlossen, aus dem Wegfall des britischen Bremsers etwas zu machen – von der Verteidigungsunion über den Finanzmarkt bis hin zu den sozialen Standards, die London bisher ausnahmslos blockierte.

Auch das wird Theresa Mays Mann für den Brexit, David Davis, durch den Kopf gegangen sein, als er in Brüssel antrat: Wie werden er und seine Regierungen den Menschen zu Hause eigentlich erklären, dass sich die Union, der man nicht mehr angehört, demnächst schneller, tiefgreifender und prosperierender entwickelt? Seit gestern wird aus „Alle für einen“ die bittere Umkehrung „Einer gegen alle“. Und es sieht nicht so aus, als könne London auch nur einen Blumentopf gewinnen.

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