Kommentar zur Türkei Kurzsichtiges Machtstreben in der Türkei

Meinung | Istanbul · Weil es keine Konsenssuche in Ankara gibt, wird die Verfassungsdebatte fast ausschließlich vom Streben der AKP nach einem Ausbau der Macht von Präsident Erdogan dominiert. Das kann fatale Folgen haben.

 In ihn setzt die AKP grenzenloses Vertrauen: Recep Tayyip Erdogan.

In ihn setzt die AKP grenzenloses Vertrauen: Recep Tayyip Erdogan.

Foto: dpa

Die schöne neue Welt des türkischen Präsidialsystems sieht nach den Vorstellungen der Erdogan-Partei AKP die fast unkontrollierte Macht des Staatsoberhauptes vor. Das Modell reflektiert die Grundidee der AKP von Demokratie als Diktatur der Mehrheit: Eine Einschränkung der Macht des direkt gewählten Präsidenten wird nicht als notwendige Kontrolle akzeptiert, sondern als störend abgeschafft.

Dass die Debatte über die neue Verfassung und die Zukunft der Republik geführt wird, während die Führungsspitze der drittstärksten Kraft im Parlament – der Kurdenpartei HDP – hinter Gittern sitzt, spricht Bände.

Weil es keine Konsenssuche in Ankara gibt, wird die Verfassungsdebatte fast ausschließlich vom Streben der AKP nach einem Ausbau der Macht von Präsident Erdogan dominiert. Diese Personalisierung ist kurzsichtig, denn bei keinem anderen Politiker würde diese Machtfülle auch nur erwogen.

Das in einer Demokratie notwendige Misstrauen gegenüber dem Personal an der Spitze des Staates wird durch grenzenloses Vertrauen in Erdogan ersetzt.

Doch ein Staat, in dem die Machtbefugnisse ganz auf eine Person zugeschnitten sind, ist nicht nur weniger demokratisch, sondern auch instabiler als einer, in denen klar definierte Befugnisse von Institutionen die Kontinuität garantieren. Das Präsidialsystem alla turca könnte schlimme Folgen für das Land haben.

Und es ist nur schwer absehbar, wie ein Land mit einer derartigen Verfassung integraler Teil des aus Demokratien zusammengesetzten EU-Europas sein könnte.

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