Referendum in Italien Italien zwischen Dolce Vita und Inferno

Rom · Sollten die Italiener die geplante Verfassungsreform am Sonntag ablehnen, gilt das nicht nur als Scheitern von Ministerpräsident Matteo Renzi: Der Ausgang der Volksabstimmung gilt als wegweisend für die gesamte EU.

 Wirbt für ein Ja seiner Landsleute: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi.

Wirbt für ein Ja seiner Landsleute: Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi.

Foto: dpa

Beim Referendum am Sonntag in Italien sind 50 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, über die Verfassungsreform der Regierung von Matteo Renzi abzustimmen. Sind die Befürworter in der Mehrheit, wird die von beiden Parlamentskammern abgesegnete Reform definitiv verabschiedet, andernfalls fällt sie durch. Worum geht es bei der Abstimmung genau? Fragen und Antworten:

Über was genau stimmen die Italiener ab?

Zur Debatte steht vor allem die Abschaffung des „perfekten Bikameralismus“. Abgeordnetenhaus und Senat haben bislang dieselben Aufgaben. Kommt die Reform durch, würde der Senat zur untergeordneten Kammer umgeformt. Gesetze würden in Zukunft vor allem im Abgeordnetenhaus verabschiedet, Regierungen bräuchten nur noch das Vertrauen der ersten Kammer. Die Regierung wirbt zudem mit Einsparungen, weil künftig nur noch 100 Senatoren statt wie bisher 315 aktiv blieben. Zudem bekäme der Zentralstaat künftig mehr Kompetenzen von den Regionen, etwa im Gesundheitssektor oder in Umweltfragen.

Welche Folgen hat der Ausgang für Italien?

Die Befürworter der Reform versprechen sich schnellere Entscheidungen und mehr politische Stabilität. Die Gegner befürchten eine übermäßige Stärkung der Exekutive gegenüber dem Parlament. Der Ausgang des Referendums wird sich zudem stark auf die politischen Verhältnisse in Rom auswirken.

Was geschieht bei einem Ja zur Reform mit der Regierung von Matteo Renzi?

Der Ministerpräsident hat die Verfassungsreform zu einem Kernanliegen erklärt. Stimmen die Italiener zu, wäre Renzi der große Sieger. Er ginge im Hinblick auf seine innerparteilichen Gegner gestärkt hervor und hat angekündigt, beim Europäischen Gipfel am 17.12. ein Veto gegen den EU-Haushalt einzulegen aus Protest gegen die Staaten, die sich gegen die Flüchtlingsaufnahme wehren. Renzi hat zudem versprochen, ein neues Wahlgesetz auf den Weg zu bringen. „Wir werden das stabilste Land in Europa sein“, kündigte er vor dem Referendum an.

Was macht Renzi bei einer Ablehnung der Reform?

„Wenn ich verliere, höre ich auf“, polterte Renzi vor Monaten und löste damit Sorgen auf den internationalen Finanzmärkten aus. Inzwischen ist der Premier vorsichtiger geworden. Renzi würde sein Mandat im Falle einer eindeutigen Niederlage wohl niederlegen. Staatspräsident Sergio Mattarella müsste dann entscheiden, wie es weiter geht. Viel hängt davon ab, wie stark die Befürworter der Reform abschneiden. Ist das Ergebnis sehr knapp, könnte sich Renzi ein neues Mandat zur Bildung einer Regierung erteilen lassen.

Sind Neuwahlen wahrscheinlich?

Regulär endet die Legislaturperiode im Februar 2018. Staatspräsident Mattarella hat bereits durchblicken lassen, dass er keine vorzeitige Wahlen ansetzen will. Einigen sich die politischen Kräfte im Falle eines definitiven Rücktritts von Renzi aber nicht auf eine Regierung, wäre Mattarella gezwungen Neuwahlen auszurufen. Beppe Grillos in den Umfragen führende 5-Sterne-Bewegung hofft auf dieses Szenario.

Welche Rolle spielt das Wahlrecht?

Seit Juli gilt ein neues Mehrheitswahlrecht („Italicum“), das für die Neuerungen nach der Verfassungsreform konzipiert wurde und bei einer Ablehnung der Reform nicht praktikabel ist. Italien bräuchte ein neues Wahlrecht, das von einer Übergangsregierung verabschiedet werden könnte. Aber auch für den Fall, dass die Reform durchkommt, hat Renzi die Neuverhandlung des Wahlrechts versprochen. Kritiker in seiner Partei bemängeln, das neue Mehrheitswahlrecht verhelfe dem Wahlsieger zu übermäßiger Macht. Die Neufassung des Wahlrechts wird in jedem Fall die künftige politische Diskussion in Italien bestimmen.

Welche wirtschaftlichen Folgen hat der Ausgang des Referendums?

Bereits in den Wochen vor der Abstimmung reagierten die Finanzmärkte nervös. Politische Unsicherheit verunsichert auch die Käufer von Staatsanleihen. Die hohe italienische Staatsverschuldung mit 133 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gilt ebenso als Achillesferse wie das angeschlagene Bankensystem. Mit Mario Draghi, dem italienischen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) hat der hochverschuldete italienische Staat eine Art Garanten. Wenige Tage nach dem Referendum könnte Draghi die Verlängerung des Programms zum Kauf gefährdeter Staatsanleihen ankündigen.

Warum sind die italienischen Banken gefährdet?

Italiens Banken schleppen mindestens 270 Milliarden Euro an faulen Krediten mit sich herum, die nicht bedient werden können. Das ist eine Folge der jahrelangen Rezession. Besonders im Fokus steht das Institut Monte dei Paschi aus Siena, das dieser Tage mit fünf Milliarden Euro rekapitalisiert werden soll. Eine Phase der politischen Unsicherheit könnte die Investoren abschrecken mit unkalkulierbaren Folgen für den gesamten Bankensektor und damit die Wirtschaft auf dem Kontinent.

Droht der Austritt Italiens aus dem Euro?

Kurzfristig nicht. Die 5-Sterne-Bewegung um Beppe Grillo hat ein Euro-Referendum in Aussicht gestellt. Dazu müsste die Bewegung aber zunächst an die Macht kommen. Das könnte bei Neuwahlen der Fall sein oder bei den regulären Wahlen im Februar 2018.

Welcher Ausgang des Referendums ist wahrscheinlich?

Bis zum 18. November lagen die Gegner relativ deutlich vorne. Seither dürfen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden.

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