Venezuela In Venezuela geht das Licht aus

Puebla · Ölkrise, Dürre und Missmanagement haben das Land in eine tiefe Krise gestürzt. Die Opposition will mit einem Referendum Präsident Maduro aus dem Amt jagen.

 Stummer Protest: In Maracaibo demonstrieren Venezolaner gegen die Stromausfälle.

Stummer Protest: In Maracaibo demonstrieren Venezolaner gegen die Stromausfälle.

Foto: dpa

In einem Land, das außer Erdöl und Schönheitsköniginnen wenig produziert, ist Polar ein Wahrzeichen: Vom Maismehl bis zum Bier stellt die Firma einen Großteil von dem her, was die Venezolaner essen und trinken. Bislang zumindest. Doch viele Zutaten werden importiert – zum Beispiel Hopfen. Und weil es wegen des Verfalls der Erdölpreise, der Wirtschaftskrise und der Devisenkontrollen keine Dollar mehr gibt, werden Venezuelas Biertrinker demnächst nicht nur im Dunkeln, sondern auch auf dem Trockenen sitzen. Vor einigen Tagen wurde in der Polar-Fabrik im Bundesstaat Carbobo die letzte Flasche abgefüllt. Außer Polar gibt es noch die Brauerei „Regional“, doch sie hat nur einen Marktanteil von 20 Prozehnt.

Es ist deshalb nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das Bier in die lange Liste der Produkte einreiht, die im sozialistischen Paradies Mangelware sind, vom Klopapier über Eier bis zu Windeln. Einer Umfrage des Instituts Venebarómetro zufolge verzehrt die Hälfte der Bevölkerung nur noch ein bis zwei Mahlzeiten täglich.

Hinzu kommen oft stundenlange Strom- und Wassersperren. Neulich empfahl Präsident Nicolás Maduro den Frauen, ihre Haare nicht mehr zu föhnen, um Strom zu sparen, und reduzierte die Arbeitswoche der Staatsangestellten auf zwei Tage. Industriebetriebe müssen ihren Konsum um 20 Prozent senken, Einkaufszentren sich vier Stunden am Tag selbst mit Energie versorgen, Fünf-Sterne-Hotels sogar neun Stunden lang. Gestern wurde die Uhr eine halbe Stunde vorgestellt, um das Tageslicht besser nutzen zu können.

Hintergrund der Energiekrise ist die Dürre, die derzeit durch das Klimaphänomen El Niño verursacht wird. Venezuela gewinnt fast drei Viertel seines Stroms aus dem Wasserkraftwerk Guri, und der Pegel ist dort laut der Nationalen Stromgesellschaft Corpoelec auf 241,67 Meter über dem Meeresspiegel gefallen. Bei 240 Metern kommt der Blackout – dann müssen die Turbinen abgeschaltet werden, weil sie sonst Luft ziehen. Schon jetzt ist die Leistung von 10 000 Megawatt auf rund 4000 Megawatt gefallen.

Nicht, als wäre das nicht voraussehbar gewesen: El Niño sucht den Kontinent alle paar Jahre heim. Dass der Stausee von Guri versandet und die Turbinen dringend erneuert sowie weitere Energiequellen gefunden werden müssen, fordern Experten schon seit Jahren. Unter der sozialistischen Regierung sei aber trotz eines beispiellosen Booms der Erdölpreise kein einziger Staudamm gebaut worden, kritisiert die bürgerliche Opposition. 2010 hatte die Regierung auf dem Höhepunkt der damaligen Energiekrise angekündigt, die Thermo-Energie auszubauen, doch wenig passierte. Stattdessen verfielen wegen mangelnder Wartung die bereits bestehenden Wärmekraftwerke.

Die Regierung steht mit dem Rücken zur Wand, ihr von Petrodollars gespeister Sozialismus befindet sich im freien Fall – im Rhythmus der Erdölpreise. Die Volkswirtschaft wird nach Einschätzung des Ökonomen Asdrúbal Oliveros zwischen 2013 und Ende 2016 um 47 Prozent geschrumpft sein. Maduro klammert sich an die von ihm kontrollierte Justiz, ans Militär und an Verschwörungstheorien. Das Ganze sei Teil eines von den USA angezettelten Umsturzplans im Einklang mit heimischen Eliten, erklärte er. Polar-Eigner Lorenzo Mendoza, der drittreichste Mann des Landes, sei zu geizig, um sein Privatvermögen zur Versorgung der Venezolaner zu opfern.

Die bürgerliche Opposition, die schon im Dezember die Zwei-Drittel-Mehrheit im Kongress eroberte, deren Initiativen aber systematisch vom regierungstreuen Obersten Gericht annulliert werden, sammelt mittlerweile Unterschriften, um Maduro abzuberufen. In den ersten zwei Tagen kamen 1.5 Millionen zusammen – mehr als zehn Mal so viel wie vom Wahlgericht verlangt. Ob Wirtschaft und Bevölkerung so lange durchhalten, wie ein demokratischer Ausweg bräuchte, ist unklar. Eine Erholung der Erdölpreise ist nicht in Sicht. Venezuela steuert nach Berechnungen von Börsenexperten auf die Zahlungsunfähigkeit zu. Die Inflation dürfte laut Weltwährungsfonds dieses Jahr 700 Prozent erreichen. Plünderungen, Raubüberfälle, Morde und Lynchjustiz nehmen zu.

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