Motor für die Industrie Im Menschenschlachthaus

Der Erste Weltkrieg ist in eine Phase rasanten technischen Fortschritts gefallen. Das befördert die Tötungsmaschinerie, die stets weiter perfektioniert wird. Im Rheinland spielt vor allem der Eisenbahnbau eine große Rolle.

 Das Grauen des Krieges: Ein Soldat stirbt bei einem überraschenden Giftgas-Angriff, weil er keine Atemschutzmaske trägt.

Das Grauen des Krieges: Ein Soldat stirbt bei einem überraschenden Giftgas-Angriff, weil er keine Atemschutzmaske trägt.

Foto: Picture Alliance

Der Zug hielt in Bazancourt, einem Städtchen der Champagne. Wir stiegen aus. Mit ungläubiger Ehrfurcht lauschten wir dem langsamen Takte des Walzwerkes der Front, einer Melodie, die uns in langen Jahren Gewohnheit werden sollte. Ganz weit zerfloss der weiße Ball eines Schrapnells im grauen Dezemberhimmel.

Der Atem des Kampfes wehte herüber und ließ uns seltsam erschauern." Mit diesen Worten beginnt der Kriegsfreiwillige Ernst Jünger sein ebenso oft gescholtenes wie bewundertes, in jedem Falle jedoch ernüchterndes Buch "In Stahlgewittern". Das "Walzwerk der Front" - auf eine unheimliche Weise umschreiben jene ersten Eindrücke des 19-jährigen die Vorahnung, dass es sich beim entfesselten Krieg um etwas bis dahin nicht dagewesenen handelt.

Der Erste Weltkrieg, die Apokalypse aus dem Nichts? In der Tat steht die Kriegsbegeisterung zu Beginn des Konflikts in einer merkwürdigen Relation zur unfasslichen Zahl von insgesamt achteinhalb Millionen Gefallenen am Ende, darunter allein 700 000 bei Verdun. Auch lässt das äußere Erscheinungsbild die vier Kriegsjahre wie ein gespenstischer Zeitraffer erscheinen.

Die preußische Pickelhaube aus Leder, erst 1916 durch den Stahlhelm ersetzt, gehört anfangs ebenso zur Ausrüstung wie die Säbel und Lanzen in den Kavallerie-Regimentern der Dragoner, Kürassiere, Husaren und Ulanen. Bezeichnungen wie Überbleibsel aus der Zeit der Rittmeister und Trompetensignale. "Es war einmal ein treuer Husar" war zunächst mitnichten ein Karnevalslied, sondern ein Soldatenlied.

Eine Ouvertüre ihrer Grausamkeit hat die moderne Kriegstechnik zwar schon 50 Jahre zuvor im amerikanischen Bürgerkrieg (1861 bis 1865) gegeben. Für die Europäer ist das gleichwohl kein Anlass, an ihrem "Sommerausflug" an die Front zu zweifeln.

Die Franzosen beispielsweise halten zunächst wie selbstverständlich an ihren leuchtend roten Hosen aus dem Krieg von 1870/71 fest - und geben ein dankbares Ziel für die deutschen Maschinengewehr-Stellungen ab. 450 Schuss pro Minute rattert ein MG 08/15 heraus. Später dann wird "08/15" kein Synonym für Schrecken, sondern für Durchschnitt. Auf deutscher Seite mischt sich die vermeintliche Romantik des Krieges mit naiver Abenteuerlust, gespeist von Wandervogelerlebnissen mit Volkstanz und Tippeltouren im Weserbergland.

Die Wirklichkeit der Materialschlachten holt die Träumer ein. Berichte über Einheiten, die 1915 mit gezogenem Säbel und vaterländischen Liedern auf den Lippen gegen feindliche Maschinengewehre und damit in den sicheren Tod anrennen, gibt es von beiden Seiten.

Doch die Maschinengewehre sind nur ein Vorbote der mechanisierten Schlachtfelder. Die Koinzidenz des rasanten technischen Fortschritts der Gründerjahre und des Ersten Weltkriegs steigert sich zur perfiden Synergie. Waffen und Munition, die früher in mühevoller Handarbeit geschmiedet werden mussten, sind am Fließband zum Schnäppchen geworden.

Und Ingenieure auf allen Seiten arbeiten konsequent und unentwegt an neuen, noch effektiveren Tötungsmitteln. Die Artillerie etwa entfaltet immer größere Reichweiten und verursacht drei Viertel aller Kriegsverletzungen. In manchem Eifeldorf, so heißt es, hört man 1916 bei Westwind bang den Geschützlärm von Verdun - wobei strittig ist, ob es nicht doch Manövergeräusche vom Truppenübungsplatz Elsenborn sind.

Das Pathos der Distanz bedeutet nun: Getötet werden kann plötzlich auch auf große Entfernung und ohne dem menschlichen Gegner Auge in Auge gegenüber stehen zu müssen. Noch ein Jahrhundert später - Stichwort "Drohnen" - wird man über derlei ethische Aspekte kontrovers diskutieren.

Hinzu kommt 1914, dass für die "ritterliche" Kampfweise der frühneuzeitlichen Schlachtfelder kein Platz mehr ist. Die Soldaten in den Gräben Flanderns oder Nordfrankreichs sind unentwegt von Verstümmelung oder qualvollem Tod bedroht; zugleich sind die Munitionsdepots zumeist großzügig gefüllt.

Im Juni 1916 lassen die Engländer an der Somme rund eineinhalb Millionen Granaten auf die deutschen Stellungen niedergehen - Berechnungen zufolge eine Tonne Material je Quadratmeter. Es genügt nicht mehr, den Gegner zu besiegen - er muss vernichtet werden.

Ein besonders teuflisches Mittel dazu verwenden erstmals die Deutschen: Das Giftgas, in der Wahner Heide erprobt und am 22. April 1915 bei Ypern in Flandern erstmals eingesetzt, entdeckt auch bald der Gegner für sich. Schließlich setzen es alle Seiten ein. Soldaten sterben qualvoll, weil ihre Ausrüstung nur unzureichend schützt. Mit Chlorgas, Grünkreuz und Senfgas folgt eine todbringende Erfindung auf die nächste.

Der Innovationszyklus ist kurz, ständig wird die Tötungsmaschinerie ergänzt. Vom vermeintlich banalen Stacheldraht, in dem sich vorwärts stürmende Soldaten verfangen und zu einem leichten Ziel werden, über Flammenwerfer, Maschinenpistolen und Splitterhandgranaten bis hin zur "Dicken Bertha" aus dem Hause Krupp, deren Mörsergeschosse im Kaliber 42 Zentimeter 15 Kilometer weit fliegen und auch stärkste Fortmauern durchschlagen.

Kruppsche Langrohrgeschütze verschießen 100-Kilo-Granaten, die mehr als 120 Kilometer weit fliegen und den Scheitelpunkt ihrer Flugbahn in 38 Kilometern Höhe erreichen. Kennzahlen, die jede Reiterarmee zum Anachronismus machen. Die Zeit der Panzer, U-Boote und Torpedos ist gekommen; ebenso der Funkaufklärung und der Panzerkreuzer. Zeppeline beginnen das verheerende Werk des Bombenkrieges, das später perfektioniert wird.

Bei den Rüstungsfirmen klingelt die Kasse. Unmittelbar nimmt am Kriegsgeschehen erstmals seit dem Dreißigjährigen Krieg die Zivilbevölkerung teil. Am 31. Oktober 1918 erleidet Bonn den ersten und einzigen Luftangriff dieses Krieges. Es gibt 30 Todesopfer.

In der Kunst spiegeln sich die Schrecken der Grenzerfahrung nachher in Gestalt der lithographischen "Totentänze" oder in den Bildern des Kriegsfreiwilligen Otto Dix und anderer wider. Zerrissene Leiber, Skelette, detonierende Granaten, entsetzte Gesichter. Nicht ohne Hintergrund betitelte das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum eine Ausstellung mit Werken deutscher und französischer Maler während des Ersten Weltkriegs mit dem Titel: "Menschenschlachthaus".

Zurück zu den Maschinen: Eine wesentliche Bedeutung gewinnt vor allem im Rheinland die Eisenbahn als Teil der Kriegführung. Anschaulich beschreibt Achim Konejung in seinem Buch "Das Rheinland und der Erste Weltkrieg", wie die Eifel in gerade einmal vier Jahren zwischen 1909 und 1913 zu einem einzigen großen Rangierbahnhof ausgebaut wird, der kurz darauf Millionen Tonnen an Nachschub umschlägt.

Mit dem Bahnhof Jünkerath etwa wächst "über Nacht" ein Verteilerkopf mit mehr als 20 Gleisen. Weitere Baumaßnahmen im Interesse der Kriegsführung: Ausbau der Ahrtalbahn und Anschluss über Dümpelfeld-Hillesheim-Lissendorf und Pelm an die Eifelbahn (Köln-Trier).

Verbindung der Strecke von Ahrdorf über Blankenheim-Wald mit der Eifelbahn. Ausbau der Vennbahn, Errichtung von Bahnhöfen in Monschau, Raeren, Lammersdorf, Kalterherberg und St.Vith. Bau der Vennquerbahn in der Westeifel von Jünkerath über Losheimergraben nach Weywertz. Und: Bau von Rheinbrücken, etwa der Ludendorff-Brücke zwischen Remagen und Erpel (1917), der knapp 30 Jahre später, in der Schlussphase des nächsten Krieges, eine überraschende Schlüsselfunktion zukommen wird.

Bauunternehmer und Fachfirmen frohlocken, der Arbeitsmarkt ist leer gefegt, und doch wird längst nicht jeder Plan auch Wirklichkeit. So zeugen von der geplanten "Moselablaufstrecke", die der Verbindung zwischen Lothringen und dem Ruhrgebiet dienen sollte, im Ahrtal noch hundert Jahre später unvollendete Viadukte, halbe Tunnel und "tote" Brückenbauwerke.

Auch in der Eifel sind inzwischen viele Gleisbetten von 1914 längst zu Radwegen umfunktioniert worden. Doch wer an den überdimensionierten Gleisanlagen von Jünkerath oder Lissendorf steht und für einen Moment die Augen schließt, der mag sich die Geräusche von Dampflokomotiven und Kommandorufen vorstellen, die jene "Geisterorte" einst erfüllt haben. Von hier aus ging es weiter, an die Somme, nach Reims, nach Arras, nach Verdun, nach Bazancourt...

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