Kommentar zu Erdogan Erdogan antworten

Meinung | Istanbul · Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schafft, was die CSU seit Jahren vergeblich versucht: Er sorgt dafür, dass die Türkei als EU-Beitrittskandidatin disqualifiziert wird.

 Mit seinem Weltbild bringt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die internationale Gemeinschaft gegen sich auf.

Mit seinem Weltbild bringt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die internationale Gemeinschaft gegen sich auf.

Foto: AFP

Ein Land, dessen Präsident westeuropäische Diplomaten beschimpft, weil sie angeklagten Journalisten beistehen, kann nicht im Ernst darauf hoffen, EU-Mitglied zu werden. Ein Präsident, der sich durch ein Liedchen in einer Satireshow so beleidigt fühlt, dass er den deutschen Botschafter einbestellen lässt, kann wohl kaum erwarten, in den Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs aufgenommen zu werden.

Mit seinem Druck auf die Medien, der Einschränkung der Meinungsfreiheit – fast 2000 Verfahren wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung seit Erdogans Amtsantritt als Staatschef vor nicht einmal zwei Jahren – und der Beschimpfung der westlichen Diplomaten hat Erdogan gezeigt, wie weit er von den Prinzipien der EU entfernt ist. Substanzieller Fortschritt in den Demokratiekapiteln der türkischen Beitrittsverhandlungen? Derzeit schlicht undenkbar.

Deshalb war es gut, dass europäische und amerikanische Diplomaten am vergangenen Freitag die Eröffnung des Prozesses gegen die Journalisten Can Dündar und Erdem Gül beobachteten. Ihre Anwesenheit zeigte, dass die westlichen Partner der Türkei sehr wohl registrieren, wie unter Erdogan die Pressefreiheit immer weiter eingeschränkt wird und wie immer mehr Kritiker zu Staatsfeinden erklärt werden.

Die EU will Erdogan auf keinen Fall verärgern, weil sie sich in der Flüchtlingsfrage auf eine enge Zusammenarbeit mit Ankara eingelassen hat. Deshalb hemmt das Risiko, dass Erdogan die Abmachung von Brüssel aufkündigt und wieder Hunderttausende Flüchtlinge Richtung Westen wandern lässt, die europäische Kritik an den Missständen in der Türkei. So wollte sich die Bundesregierung zunächst nicht zur Einbestellung des deutschen Botschafters Martin Erdmann äußern.

Schweigen löst aber nicht das Problem. Zusammenarbeit in der Flüchtlingsfrage kann und darf nicht bedingungslose Zustimmung zu allem bedeuten, was der türkische Präsident tut oder lässt. Die amerikanische Regierung hat vorgemacht, wie man reagieren kann. Sie wies Erdogans Kritik am Prozessbesuch der westlichen Diplomaten unmissverständlich zurück und kündigte an, ihre Vertreter auch in Zukunft zu sensiblen Strafverfahren in der Türkei zu schicken.

Die EU sollte ihre Schreckstarre überwinden und die Interessen verteidigen. Deutschland und andere Länder geben kein gutes Bild ab, wenn sie die eigenen Diplomaten im Regen stehen lassen und nicht gegen Erdogans völlig lächerliche Vorwürfe verteidigen. Flüchtlingskrise hin oder her – Europa darf nicht den Eindruck erwecken, dass Grundwerte wie die Freiheit der Medien verhandelbar sind.

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