Tod von Mullah Achtar Mansur Eine Drohne gegen den Chef der Taliban

Kabul · Mit dem tödlichen Angriff in Pakistan schalten die USA einen Gegner von Friedensverhandlungen aus. Doch die Hoffnung auf Frieden sind damit nicht gestiegen.

 In den Reihen durchaus umstritten: Mullah Mansur.

In den Reihen durchaus umstritten: Mullah Mansur.

Foto: AFP

Botschaften und internationale Organisationen verschärften gestern ihre ohnehin massiven Sicherheitsvorkehrungen in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Die Afghanen, für die der Sonntag ein normaler Arbeitstag ist, gingen wie gewohnt ihren alltäglichen Beschäftigungen nach. Aber sie rechnen mit dem Schlimmsten. „Die Gefahr von Vergeltungsanschlägen ist jetzt besonders groß“, sagte der 37-jährige Mohammed Mirwais, während er auf einem belebten Markt am Kabul-Fluss in der afghanischen Hauptstadt an seinem Obststand auf Kunden wartete.

Die Sorge der Afghanen ist so groß geworden, weil nun klar ist, dass der erst seit einem Jahr amtierende Chef der radikalislamischen Talibanmilizen bei einem amerikanischen Drohnenangriff getötet wurde. Zunächst hatten die Taliban noch widersprochen: „Der Führer der Gläubigen, Mullah Mohammed Achtar Mansur, lebt“, beharrten die Gotteskrieger gestern Morgen auf ihren Kommunikationskanälen darauf, dass ihr Führer doch nicht getötet wurde. Gestern Abend aber bestätigten sie den Tod Mansurs.

Die US-Regierung hielt es allerdings schon am Samstag für angebracht, Pakistans Premierminister Nawaz Sharif und Afghanistans Präsident Aschraf Ghani von dem Angriff mit mehreren unbemannten Drohnen zu informieren, bei dem der Milizenchef am Samstagnachmittag nahe dem Ort Ahmad Wal rund 100 Kilometer südwestlich der Stadt Quetta in der pakistanischen Provinz Beluchistan „wahrscheinlich“ von Raketen zerfetzt worden sei.

390 Mal hatten die USA während der vergangenen Jahre mit unbemannten Drohnen Ziele in Pakistan angegriffen. Die dem Talibanchef geltende 391. Drohnenattacke, für die laut amerikanischer Regierung Präsident Barack Obama persönlich grünes Licht gab, traf zum ersten Mal überhaupt ein Ziel in der pakistanischen Provinz Baluchistan südlich von Afghanistan.

Jahrelang hatten die USA die Schura, wie die seit der Vertreibung aus Kabul im Jahr 2001 in der Umgebung der Stadt Quetta residierenden Führungszirkel der Taliban genannt werden, weitgehend verschont. Nun aber haben Washington und Kabul offenbar die Samthandschuhe abgelegt. Gestern rechtfertigte Außenminister John Kerry die Aktion: „Wir wollen Frieden. Mansur war war eine Bedrohung für dieses Ziel. Er war gegen den Friedensverhandlungen und Versöhnung.“

Der Drohnenangriff beschädigte freilich erst einmal die Chancen auf ernsthafte Gespräche. „Präsident Aschraf Ghani besucht gegenwärtig Katar“, sagt in Kabul der frühere Parlamentsabgeordnete Sayed Ischak Gailani, der im Rahmen einer „Friedensdschirga“ versucht, hinter den Kulissen die Tür für Verhandlungen zu öffnen, „er wollte möglicherweise mit Vertretern des dortigen politischen Büros der Taliban zusammentreffen. Da wird nun sicher nicht viel beredet.“

Mansur, ein Mitbegründer der Talibanmilizen Mitte der 90er Jahre hatte 2015 offiziell die Nachfolge von Mullah Mohammed Omar angetreten, dessen Tod von der Schura mit der Hilfe Pakistans zwei Jahre lang geheim gehalten worden war. Der Milizenchef unterdrückte und tötete Kritiker in den eigenen Reihen. Einer gemeinsamen Verhandlungsinitiative der USA, Afghanistans, Chinas und Pakistans zeigten die Milizen seit Anfang diesen Jahres die kalte Schulter. Selbst Peking, das sich wirtschaftlich massiv im benachbarten Pakistan engagieren will, schien vor dem Starrsinn des Talibanbosses zu kapitulieren. „Beim letzten Treffen der Vierergruppe in Islamabad in der vergangenen Woche machte China nicht mehr so viel Druck wie früher“, wunderte sich ein Diplomat.

Ob Mansurs Stellvertreter Siradschuddin Hakkani nun den Chefsessel übernimmt, ist unklar. Seine berüchtigte Hakkani-Fraktion war für die meisten Terroranschläge in der Hauptstadt Kabul verantwortlich. Laut Talibanvertretern steuerte sie während der vergangenen Jahre die meisten Selbstmordattentäter bei. Ein frustrierter amerikanischer General bezeichnete die Hakkani-Fraktion einmal als „verlängerten Arm“ des pakistanischen Geheimdienstes ISI. Des enge Band soll laut den USA in jüngster Zeit allerdings gelockert worden sei.

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