Nach dem Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" Eiertanz um die Meinungsfreiheit

KAIRO · Von der Azhar Universität, einer der höchsten Autoritäten des sunnitischen Islam, bis hin zu arabischen Journalistenverbänden wird der Anschlag in Paris als krimineller Akt verurteilt.

 Abgesetzt: Im Januar 2013 waren die Show-Plakate des ägyptischen Satire-Königs Bassem Yussuf noch in Kairo zu sehen. Doch die neuen Machthaber verstanden keinen Spaß: Weil er auch sie aufs Korn nahm, verlor er seine Sendung.

Abgesetzt: Im Januar 2013 waren die Show-Plakate des ägyptischen Satire-Königs Bassem Yussuf noch in Kairo zu sehen. Doch die neuen Machthaber verstanden keinen Spaß: Weil er auch sie aufs Korn nahm, verlor er seine Sendung.

Foto: dpa

"Der Westen trinkt jetzt aus dem gleichen Glas wie die Ägypter", sagt der Kommentator Tamer Amin. Dort fühlt man sich bestätigt. Der ägyptischen Regierung werde von Europa immer wieder vorgeworfen, mit diktatorischen Mitteln den Terror zu bekämpfen, jetzt bekomme Europa selbst den Terror zu spüren. Die repressiven arabischen Staaten sehen die Ereignisse in Paris als Rechtfertigung ihrer Politik.

Aber gerade in der arabischen Welt eiert man auch mit der Meinungsfreiheit herum, wenn es um Religion geht. "Leider sehen manche westlichen Medien die Meinungsfreiheit als eine Art Religion. Keiner darf diese antasten. Sie können im Westen sagen, was sie wollen", lamentiert Amin und geht dann sogar noch einen Schritt weiter: "Sie verdienen, was geschehen ist. Ich sage immer, es kann keine unbegrenzte Meinungsfreiheit geben. Alles auf der Welt geht mit Verantwortung und roten Linien einher".

Im populären regimenahen ägyptischen Fernsehsender On-TV setzt man Attentäter und die Journalisten des Satire-Magazins, die die Religion angegriffen haben, sogar gleich. "Radikale haben Radikale getötet", kommentiert dort Yussuf El-Husseini. Es gebe keinen Unterschied zwischen beiden.

Menschen, die für ihre Meinung und ihr Schaffen von militanten Islamisten angegriffen werden, sind kein westliches Monopol. Die meisten Opfer stammen selbst aus der islamischen oder arabischen Welt. Das prominenteste ist wohl der inzwischen verstorbene Literaturnobelpreisträger Nagib Mahfuz. In seinem Buch "Die Kinder unserer Gasse" beschrieb er das Zusammenleben mehrerer Propheten. Hinter Adham, Gabal, Rifaa und Kasim, mit denen er die Menschheitsgeschichte symbolisch in einer Gasse schildert, verbergen sich Adam, Moses, Jesus und Mohammed.

Die, wenngleich literarische, Abbildung von Propheten war 1994 für seinen militanten Angreifer genug, Mahfuz ein Messer in den Hals zu rammen. Zwei Jahre zuvor war der ägyptische Publizist Farag Foda von Mitgliedern der militanten Gruppe "Gamaa Islamiya" erschossen worden. Er war bekannt für seine scharfen Artikel und Satiren gegen die radikalen Islamisten. Er wollte den Islam gegen die Verdrehungen der Radikalen schützen und bezahlte das mit dem Tod.

In den letzten vier Jahren erlebte die Satire in der arabischen Welt nach den Aufständen in Tunesien und Ägypten eine Hochkonjunktur. Wenngleich der König der arabischen Satire, der Ägypter Bassem Yussuf, von seinem saudischen Sender MBC abgesetzt wurde, nachdem die ägyptische Militärregierung gegen das Programm interveniert hatte. Die Satire ging den Herrschern zu weit.

Aber Satiren gegen die militanten Islamisten haben in der Arabischen Welt weiterhin Konjunktur. Heute geht es vor allem gegen die selbst ernannten Dschihadisten des "Islamischen Staates" (IS). Bekannt ist die irakische Serie "Staat der Mythen". Der Titel entstammt einen arabischen Wortspiel. Aus "Daulat Al-Khalifa", also "Staat des Kalifats", wurde "Daulat Al-Khurafa" - Staat der Mythen. In der Serie wird die gesamte Ideologie der Militanten aufs Korn genommen. In einer Szene kommen beispielsweise die selbst ernannten Wächter des Islam zu einem Gemüsehändler und fordern von ihm, männliches und weibliches Gemüse strikt zu trennen.

Es ist Satire, direkt an der Front: Die 30 Folgen der Fernsehsendung Al-Irakya können auch in Territorium des IS empfangen werden. Alle Schauspieler wissen, dass sie ihr Engagement mit dem Leben bezahlen würden, würden die Dschihadisten des IS bis nach Bagdad vordringen. Ein Grund, warum manche Drehbuchschreiber lieber anonym bleiben möchten.

Auch der libanesische Fernsehsender LBC sendet Anti-IS-Sketche. In einem von ihnen fährt ein christliches Paar ängstlich über eine Landstraße und gerät in eine Straßensperre von IS-Kämpfern. "Wenn ihr Christen, Schiiten oder Abtrünnige seid, schlachten wir euch ab", droht deren Anführer. "Zitiere mir eine Sure aus dem Koran", fordert der den Fahrer auf. Der fängt an zu zitieren, und der IS-Kommandeur beginnt zu lächeln. "Das sind Muslime, lasst sie weiterfahren", weist er seine Männer an.

Bei der Weiterfahrt wendet sich die Frau verwundert an ihren Mann. "Du hast doch gar nicht aus dem Koran zitiert, sondern aus der Bibel, wieso leben wir noch?" Der Mann antwortet verschmitzt: "Wenn die den Koran kennen würden, würden sie keine Menschen abschlachten". Im Hintergrund winken die Dschihadisten freundlich zum Abschied.

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