Das große Chaos Die EU rüstet sich für einen "No-Deal-Brexit"

Brüssel · Ende März will Großbritannien aus der EU ausscheiden, und noch ist keine Zustimmung für das Austrittsabkommen in Sicht. Die EU kann das Risiko nicht ignorieren.

 Pro- und Anti-Brexit-Demonstranten vor dem Parlament in London: Großbritannien will die EU am 29. März 2019 verlassen.

Pro- und Anti-Brexit-Demonstranten vor dem Parlament in London: Großbritannien will die EU am 29. März 2019 verlassen.

Foto: Alastair Grant/AP

Die Gefahr eines Brexits ohne Austrittsvertrag treibt die Europäische Union zu Notfallplänen, die das befürchtete Chaos im Flugverkehr, beim Zoll und an den Finanzmärkten mildern sollen.

So sollen Sonderregeln auch bei einer abrupten Trennung Ende März einige Flugverbindungen zwischen Großbritannien und der EU sichern, wie die EU-Kommission am Mittwoch mitteilte. Briten in EU-Staaten sollen möglichst ein Bleiberecht bekommen. Bedingung ist, dass auch Großbritannien ähnliche Zugeständnisse gewährt.

"Die Risiken eines ungeordneten Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union sind offensichtlich: Es wird eine absolute Katastrophe werden", sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel. Kommission und EU-Staaten wollten dies unbedingt verhindern. "Aber man braucht zwei, um einen anständigen Tango hinzulegen", sagte Juncker.

Seine Behörde plant insgesamt 14 Notmaßnahmen für den Fall, dass die Ratifizierung des ausgehandelten Austrittsvertrags in Großbritannien scheitert. Dort ist vor der Abstimmung im Januar keine Mehrheit in Sicht. Platzt der Vertrag, entfällt die vereinbarte Übergangsfrist, in der sich bis mindestens Ende 2020 nichts ändern soll. In dem Fall werden für die Zeit unmittelbar nach dem Austrittsdatum 29. März schwere Verwerfungen befürchtet.

Die fünf größten britischen Unternehmensverbände äußerten sich am Mittwoch entsetzt über den Stillstand im britischen Parlament und warnten eindringlich vor dem sogenannten No-Deal-Szenario. Die Idee, dass dies zu bewältigen wäre, sei unglaubwürdig, erklärten sie gemeinsam. "Es ist klar, dass einfach nicht genug Zeit da ist, um den schwerwiegenden Verwerfungen und Störungen innerhalb von nur 100 Tagen vorzubeugen."

Auch die EU-Kommission geht davon aus, dass ein Brexit ohne Vertrag in jedem Fall große Schwierigkeiten brächte und die Notfallmaßnahmen nur wenig helfen. Kommissionsvize Valdis Dombrovskis sagte, sie würden eine etwas weichere Landung bringen. Klar sei aber auch: "Es kann die Vorteile des Austrittsvertrags nicht replizieren und natürlich auch nicht die Vorteile der EU-Mitgliedschaft."

So soll ein völliger Zusammenbruch des Flugverkehrs zwischen dem Kontinent und Großbritannien zwar übergangsweise abgewendet werden. Möglich wären aber nur Direktflüge, kein Weiterflug in einen Drittstaat. Die Verbindungen London-Rom oder London-Paris würde es also geben, erläuterten EU-Beamte. Die Verbindung Paris-London-Rom ginge aber nicht mehr.

Unsicher wäre vor allem die Lage von Millionen EU-Bürgern in Großbritannien und Briten in der EU. Die EU-Kommission plädiert hier für "einen großzügigen Ansatz". Sie schlägt vor, dass die EU-Staaten möglichst einheitlich einen legalen Aufenthaltsstatus gewähren. Zudem sollen die EU-Staaten Absprachen zur Sozialversicherung zu treffen, also etwa die Fortsetzung von Krankenversicherungsschutz. Auch hier will die EU Vereinbarungen auf Gegenseitigkeit mit Großbritannien.

Für die Zollabfertigung schlägt die EU-Kommission vor, dass Zollerklärungen vor der Ausfuhr nach Großbritannien beziehungsweise vor der Einfuhr auf EU-Gebiet eingereicht werden müssen. Darüber hinaus ermahnt die Kommission die EU-Staaten dringend, ihre Grenzbehörden darauf vorzubereiten, dass nach einem No-Deal-Brexit Zölle erhoben werden müssten. Zudem sollen Sonderregeln einigen Finanzdienstleistern mit Sitz in Großbritannien erlauben, zunächst weiter in der EU tätig zu sein, um Turbulenzen an den Finanzmärkten abzuwenden.

Im Austrittsvertrag sind alle Bedingungen für eine geregelte Trennung auf knapp 600 Seiten vereinbart. Kern sind ausführliche Regelungen, damit die Briten in der EU und die EU-Bürger in Großbritannien so weiterleben können wie bisher. Zudem bekennt sich Großbritannien in dem Vertrag zu finanziellen Pflichten, so dass die EU noch Schlusszahlungen von geschätzten 45 Milliarden Euro erwarten darf. Ein entscheidender Punkt ist die vereinbarte Garantie, dass die Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland offen bleibt. Ohne Vertrag entfiele auch dies. Was dann in Irland konkret passieren soll, sagten EU-Beamte am Mittwoch nicht.

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