Amoklauf in Frankreich Dschihad in der Kirche

Saint-Étienne-du-Rouvray · Mit der Ermordung eines katholischen Geistlichen in Nordfrankreich setzt der IS seine Serie barbarischer Attentate fort. Die Opposition wirft der Regierung Nachlässigkeit bei den Sicherheitsvorkehrungen vor.

 Polizisten sichern nach der Geiselnahme in Saint-Étienne-du-Rouvray ein Haus, das von Kollegen durchsucht wird.

Polizisten sichern nach der Geiselnahme in Saint-Étienne-du-Rouvray ein Haus, das von Kollegen durchsucht wird.

Foto: dpa

Präsident François Hollande legte sich schnell fest: Um ein „schändliches Terrorattentat“ habe es sich bei der Geiselnahme gestern Vormittag in einer katholischen Kirche in Saint-Étienne-du-Rouvray bei Rouen gehandelt. Zwei mit Messern bewaffnete Angreifer waren dort während einer Messe durch den Hintereingang in das Gotteshaus gelangt und hatten fünf Menschen als Geiseln genommen, darunter zwei Ordensschwestern, zwei weitere Frauen und den Pfarrer.

Ihn töteten sie, indem sie ihm die Kehle durchschnitten. Auch verletzten sie drei der anwesenden Frauen, eine davon lebensgefährlich. Als die Täter aus der Kirche stürmten, wurden sie von einer Sondereinheit der Polizei erschossen. Die Einheit war rasch nach einem Notruf einer weiteren Frau eingetroffen, die der Geiselnahme entkommen und die Polizei alarmieren konnte.

Zumindest einer der beiden Attentäter war als Kandidat für den Dschihad aktenkundig: 2015 wurde der Mann in der Türkei festgenommen und trug Medienberichten zufolge seit März dieses Jahres eine elektronische Fußfessel. Ein Minderjähriger kam in Untersuchungshaft, aber zunächst wurde nichts Näheres über ihn bekannt. Die Anti-Terror-Abteilung der Pariser Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf.

Am frühen Nachmittag teilte die mit der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Verbindung stehende Agentur Amaq mit, bei den Angreifern habe es sich um „Soldaten des Islamischen Staates“ gehandelt.

„Wir stehen dem IS gegenüber, der uns den Krieg erklärt hat. Diesen Krieg müssen wir mit allen Mitteln und im Respekt des Rechtes führen“, sagte Hollande, der in Rouen geboren wurde und kurz nach dem Attentat mit Innenminister Bernard Cazeneuve vor Ort eintraf. „Die Katholiken wurden getroffen, aber alle Franzosen fühlen sich betroffen.“ Papst Franziskus verurteilte die Geiselnahme als „sinnlose Gewalt“.

Das Unaussprechliche sei passiert, sagte der Bischof von Rouen, Dominique Lebrun, der zum Auftakt des Weltjugendtages nach Krakau gereist war, aber sofort den Rückweg antrat. „Ich fühle mich wie erschlagen, aber zugleich getragen von all diesen jungen Leuten, die eine Kultur der Liebe aufbauen wollen.“ Das Opfer, der 84-jährige pensionierte Pfarrer Jacques Hamel, war in der Kirchengemeinde beliebt, er galt als „herzlich und bescheiden“. Auch der Präsident des Regionalrates der Muslime und Verantwortliche für die Moschee in Saint-Étienne-du-Rouvray, Mohammed Karabila, erklärte sich „fassungslos über den Tod meines Freundes“.

In der Vergangenheit hatte es mehrmals Drohungen gegen Kirchen in Frankreich gegeben. 2015 wurden Pläne für einen Anschlag gegen ein Gotteshaus im Pariser Vorort Villejuif bekannt, der verhindert werden konnte. Diesmal gelang das nicht, obwohl seit den Terroranschlägen in Paris am 13. November 2015 der Ausnahmezustand herrscht. Den wollte Hollande nach Ende der Tour de France eigentlich aufheben, doch das Parlament beschloss nach dem Anschlag vom 14. Juli im südfranzösischen Nizza eine Verlängerung um weitere sechs Monate. Am französischen Nationalfeiertag war dort ein Mann mit einem gemieteten Lastwagen in eine Menschenmenge auf der Strandpromenade gerast. 84 Menschen starben, rund 300 wurden verletzt. Auch zu diesem Anschlag bekannte sich der IS.

Die politische Opposition, die der Regierung Nachlässigkeit bei den Sicherheitsvorkehrungen vorgeworfen hatte, reagierte auch gestern sofort mit schweren Angriffen. Rechtspopulistin Marine Le Pen sah eine „riesige Verantwortung all jener, die uns seit 30 Jahren regieren“. Von einer „nationalen Einheit“ und einer Polemikpause, die nach den Anschlägen in Paris im vergangenen Jahr zumindest kurz eingehalten wurden, kann diesmal keine Rede sein. Der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl im Mai steht an.

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