Wissenschaft unter dem neuen US-Präsidenten Donald Trump und sein irrationales Universum

Bonn · Wie beim Freihandel versucht das Team des neuen Präsidenten auch in der Wissenschaft das Rad zurückzudrehen. Der Klimawandel ist „bullshit“, Impfen fördert Autismus, und die Erde ist eine Scheibe. Dabei wiederholt sich die Geschichte.

Fällt der Apfel vom Boden zum Baum? Oder vom Baum zum Boden? Brauchen wir für eine Antwort Physik? Wohl kaum. Anders verhält es sich, wenn eine Gesellschaft den Nutzen des Impfens oder das Risiko von Treibhausgas-Ausdünstungen bewerten muss. Da könnte es gefährlich werden, nur auf gefühltes Alltagswissen zu vertrauen. Aber genau in diese Richtung drohen gerade die USA abzudriften – ein Land, das mit viel Rationalität, internationaler Verflechtung und Wissenschaft viele Klein- und Großtaten hervorgebracht hat: Kaugummi, Magnetresonanztomographie, Crashtest-Dummys, Mondlandung, Windows, Geschirrspülmaschine, dazu iPhone, Google, Facebook und Co. sowie vieles mehr.

Was uns bislang paranoid vorgekommen wäre, erscheint nun realistisch

Witzelten Wissenschaftler während des Trump-Wahlkampfs noch über den Stammtisch-Horizont des Kandidaten und zitierten Studien, die sein Vokabular vor dem Mikrofon als das eines Viertklässlers bewerteten, hofften sie nach der Wahl darauf, dass Wahlkampfgetöse und präsidiale Wirklichkeit zweierlei sind. Nun liegen jedoch die Nerven blank. „Was uns bislang paranoid vorgekommen wäre, erscheint nun realistisch“, sagte Umweltforscher Nick Santos von der Universität von Kalifornien der „Washington Post“. Der 45. US-Präsident tut offenbar, was er angekündigt hat – und will nicht nur eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen und die US-Wirtschaft nationalisieren, sondern auch die freie Forschung einzäunen.

Von Fakten geleitete Politik? Das war einmal. Was genau passieren wird, weiß niemand. Trumps Weisheiten lassen US-Forscher jedoch erschauern. Kostproben: Erneuerbare Energien? „Eine teure Methode, um Baum-Umarmer zufriedenzustellen.“ Nasa? „Soll sich um die Tiefen des Weltraums kümmern, nicht die Erde beobachten.“ Geisteswissenschaften? „Was bringt das wirtschaftlich?“ Impfen? „Verursacht Autismus.“ Klimawandel? „Bullshit. Eine Erfindung der Chinesen, um unsere Wirtschaft zu schädigen.“

Dann folgte der zweite Schock. Trump ernannte einen Bruder im Geiste zum Vize-Präsidenten: Mike Pence, einst Gouverneur in Indiana, ist Kreationist und glaubt an die Genesis, wie sie in der Bibel steht. Er hat vor Gericht schon versucht, Charles Darwins Evolutionslehre, ohne die heute weder Mikrobiologie noch Genetik denkbar sind, aus den Lehrplänen zu verbannen.

Der Vizepräsident hält den Klimawandel für einen Mythos

Pence über Pence: „Ich bin Christ, Konservativer und Republikaner – in dieser Reihenfolge“. Er hatte die wichtige Wählergruppe der evangelikalen Christen für Trump gewonnen. Auch Pence hält den Klimawandel für einen „Mythos“ und ist gegen Abtreibung und Stammzellforschung. In seinem Bundesstaat hatte er – per Gesetz – Restaurant-Besitzern freigestellt, Homosexuelle zu bedienen.

Für Entsetzen sorgte schließlich die Personalie Scott Pruitt: Den Generalstaatsanwalt des energiereichen Bundesstaates Oklahoma und Verbündeten der Kohle- und Ölindustrie ernannte Trump zum Chef der mächtigen US-Umweltbehörde EPA. „Er hat einen Brandstifter mit der Brandbekämpfung beauftragt“, kritisierte die Umweltorganisation Sierra Club. Spätestens mit Pruitts Nominierung war das Heer der US-Klimaforscher alarmiert. Kurzum reagierten sie: Nie zuvor dürften so viele Datenberge kopiert worden sein.

Die Religion soll der Forschung Leitplanken setzen

Amerikas Klimaforscher bringen ihre Daten in Sicherheit. Wer weiß, wie lange sie auf den Regierungsservern noch zugänglich sind – oder gleich per Knopfdruck gelöscht werden, was einer elektronischen Bücherverbrennung gleichkäme. Auf der Homepage des Weißen Hauses ist der Begriff „Climate Change“ schon nicht mehr auffindbar. Trumps Logik: Was nicht existiert, muss auch nicht erwähnt und schon gar nicht erforscht werden. Die Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, die EPA sei angewiesen worden, künftig alle Forschungsergebnisse – vor einer Veröffentlichung – einem Trump-Vertreter vorzulegen.

Die Geschichte scheint sich ein drittes Mal in der Neuzeit zu wiederholen, nur jedes Mal – Reagan, Bush jr., Trump – in verschärfter Form. Immer, wenn ein Republikaner Präsident wurde, sollten Weltanschauung und Religion der Forschung Leitplanken setzen. So entstand etwa das „Creation Science Research Center“ in San Diego, wo Präsident John D. Morris die Kreationisten als „Krieger für den Glauben“ bezeichnet. Indes ist die Forschung im Zeichen der buchstabentreuen Genesis beschwerlich und erfordert viel Fantasie. Kreationistische Astrophysiker müssen ohne Urknall und Einsteins Gesetze auskommen.

In der kreationistischen Geologie beträgt das Alter der Erde 10.000 Jahre, weshalb sich der Himalaya im Zeitraffer – rund zwei Meter pro Jahr – aufgefaltet hat. Und kreationistische Biologen müssen bei allem, was sie über das Werden des Lebens publizieren, beachten, dass die Arten alle zur gleichen Zeit, quasi in einem göttlichen Handstreich entstanden sind.

Forscher lästern über die "Flat-Earthers"

„Die Krieger des Glaubens“ sind auch Wähler – und nicht wenige. Das erkannte als erster Wahlkämpfer Ronald Reagan. Er versprach: „Wenn die Evolutionstheorie in Schulen gelehrt wird, dann sollte auch die biblische Theorie der Schöpfung unterrichtet werden.“ Er siegte und war von 1981 bis 1989 US-Präsident. Doch auch Reagan konnte nicht verhindern, dass die obersten Richter 1987 die Gleichstellung von Evolutionstheorie und biblischer Genesis im Schulunterricht verboten. Seitdem geht es hin und her und herrscht auf bundesstaatlicher Ebene Wildwuchs.

Was jetzt unter Trump und seinem weltanschaulich homogenen Team der US-Wissenschaft droht, ahnen die Forscher, weil sie es unter dem Republikaner George W. Bush (2001 bis 2009) schon einmal erlebt haben. Damals mokierten sich die Forscher zunächst über die „flat earthers“, Bushs geistige Verbündete, die unseren Planeten weiter für eine Scheibe halten und die Abstammungslehre verteufeln.

Bush begann harmlos und ließ anfangs nur Infoblätter zur richtigen Verwendung von Kondomen zur Aids-Prophylaxe umtexten. Dann, weniger harmlos, stieg er aus dem Kyoto-Klimaschutzprotokoll aus. Bald geriet der Wissenschaftsbetrieb um 2004 in eine Zangenbewegung, wobei der Effekt, egal ob durch religiöse oder industrielle Lobbyisten ausgelöst, der gleiche war: Wissen, Messwert, Erkenntnis – alles wurde nun regierungsamtlich ausgeblendet. Der Staat filterte oder strich unliebsame Passagen aus Forschungsberichten. Da konnte das U.S. General Accounting Office, eine Art Wächteramt für „Verantwortlichkeit, Integrität und Zuverlässigkeit“, aufdecken und protestieren, wie es wollte. Bush erfüllte geradlinig seine Wahlkampfversprechen.

Die Forscher leisteten offensiv Widerstand. Die Union of Concerned Scientists (UCS), die den politischen Missbrauch von Wissenschaft beobachtet, sah ein „etabliertes Muster von Vertuschung und Entstellung“ am Werk. Den öffentlichen UCS-Protest unterzeichneten 62 US-Wissenschaftler, darunter 20 Nobelpreisträger und 19 Träger der Nationalen Wissenschaftsmedaille.

Trumps Berater kanzeln Kritik als "Verschwörungsreport" ab

Darin dokumentierten sie, wo überall mit Bushs Segen manipuliert, unterdrückt und staatliche Beratungsgremien nach Weltanschauung besetzt wurden. Bushs Wissenschafts-berater John Marburger kanzelte alles als „Verschwörungsreport“ ab. Damit waren die Vorwürfe aber nicht aus der Welt. Sogar das Pentagon merkte an, dass der Klimawandel „gefährlicher als der Terrorismus ist“ – in der Hoffnung, dass der feinsinnige Vergleich Bush aufschreckt. Fehlanzeige.

Der Leidensdruck der Wissenschaftler stieg und entlud sich 2005 schließlich auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS), dem weltweit größten Wissenschaftlerkongress. Selten hatte eine AAAS-Tagung so viel Politik im Programm. Ozeanograph Tim Barnett war die regierungsamtliche Kosmetik leid und sagte: „Die Debatte, ob es eine globale Erwärmung durch den Menschen gibt oder nicht, ist vorbei, jedenfalls für rational denkende Menschen.“ Die säßen, so Klimaforscher Michael Oppenheimer, aber nicht in Bushs Kabinett: „Wer an ein rationales Universum glaubt, an Aufklärung, Wissen und die Suche nach Wahrheit, für den ist dieses Weiße Haus eine absolute Tragödie.“

George W. Bush Junior wird zum Zwerg in Sachen Wissenschaftsfeindlichkeit

Der Wirtschaftswissenschaftler Benjamin Friedman von der Harvard-Universität sieht – zumindest für das Kommen und Gehen des Evolutionsstreits – noch einen anderen Zusammenhang: „Während der Depression in den 1920er Jahren oder der Stagnation Ende der 1980er Jahre wurde die Evolutionstheorie ebenfalls angegriffen, und als die Wirtschaft sich Ende der 1990er Jahre wieder besserte, verschwand diese Debatte ebenso schnell, wie sie aufgekommen war.“

Unter Trump kommt sie jetzt unverhofft wieder auf die Agenda und sei es durch seinen Vize Pence – und das, obwohl die USA sich aktuell weit entfernt von einer wirtschaftlichen Depression befinden. Plötzlich erscheint selbst Bush jr. in punkto Wissenschaftsfeindlichkeit als Zwerg.

Absehbar: Der Regierungsapparat wird es „alternative Fakten“ nennen, wenn er abgestandene und längst widerlegte Thesen wieder auffrischt, wonach etwa der Klimawandel „nicht vom Menschen verursacht“ oder die Evolution „nur eine Theorie, keine Tatsache“ sei. Amerikas Forscher protestieren einstweilen im Internet; anonym, weil sie – soweit in staatlichen Behörden tätig – Angst haben. Die Frauen haben ihren Marsch schon hinter sich, um dem von Trump ausgelösten Aufstand der Unanständigen ein Gegensignal zu senden. Der Aufstand der Aufgeklärten („Scientists March“) gegen eine Glaubensregierung ist in der weltweit größten Forschungsnation aber schon in Planung und soll bald folgen.

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