Tradition oder Massaker? Diskussion um Stierkämpfe in Frankreich entbrannt

Paris · Tierschützer in Frankreich sind empört. Seit Jahrzehnten kämpfen sie für das Verbot von Stierkämpfen und nun kursieren im Internet Fotos des französischen Agrarministers auf der Tribüne einer Stierkampfarena.

Der Skandal in den Augen der Kritiker: der französische Agrarminister ist in Frankreich zuständig für die Einhaltung des Tierwohls, dass also Tiere etwa nicht unnötig gequält werden. Sechs Stiere sind an jenem Nachmittag unter den Augen Didier Guillaumes von den Matadoren getötet worden. „Das ist die Unterstützung eines Massakers, eines finsteren Spektakels“, kommentiert Julien Bayou, Sprecher der französischen Grünen.

Didier Guillaume wollte anfangs keine Erklärung zu seinem Besuch bei dem Stierkampf abgeben, ging dann aber zum Gegenangriff. Er sieht sich als Opfer einer Kampagne. Die Corrida sei eine alte Tradition, erklärt der Minister, was ihn mehr empöre sei, dass seine politischen Gegner den Besuch nun ausschlachten würden, um ihm zu schaden.

Angesichts dieser Reaktion sind die Kritiker mehr als erstaunt. Karima Delli prangert den Wiederspruch im Verhalten des Ministers an. „Man kann nicht auf der einen Seite das Tierwohl verteidigen wollen und auf der anderen Seite in einer Arena sitzen und sich angesichts des Leides eines Stieres vergnügen“, sagt die grüne Europaabgeordnete. Sie will sich dafür einsetzen, den Stierkampf in Frankreich verbieten zu lassen.

Das versuchen Tierschützer seit Jahrzehnten, denn Stierkämpfe sind vor allem in Südfrankreich noch immer weit verbreitet. In über 50 Städten werden jedes Jahr sogenannte Férias ausgetragen, bei denen Stiere getötet werden. Zuletzt hatte der Verfassungsrat in Paris im Jahr 2012 entschieden, dass Stierkämpfe weiter stattfinden dürfen. Die höchste Instanz in Verfassungsfragen wies damals eine Beschwerde von Stierkampf-Gegnern gegen eine gesetzliche Ausnahmeklausel für bestimmte französische Regionen ab.

Als Begründung hieß es, dass Stierkämpfe in jener Region ein Kulturgut seien und es sich folglich um „örtliche Traditionen“ handle. Aus diesem Grund sei eine für diese Veranstaltungen geltende „Ausnahmeklausel“ verfassungsgemäß. Das heißt, dass in Frankreich jeder „Akt der Grausamkeit“ gegen Tiere verboten ist – mit der Ausnahme von Stier- und Hahnenkämpfen in manchen Regionen. Dieses Urteil brachte dem Verfassungsrat die wüsten Beschimpfungen der früheren Schauspielerin Brigitte Bardot ein, die sich inzwischen auf bisweilen reichlich militante Weise für den Tierschutz einsetzt. Sie nannte die sogenannten Weisen in dem Gremium „Feiglinge“ und fügte hinzu: „Wir leben in einem Land, das ein großes Schlachthaus ist.“

Der Stierkampf gilt im Süden Frankreichs allerdings nicht nur als Kulturgut. Für Städte wie Nîmes, Arles und Bayonne seien die Férias ein wichtiger Touristenmagnet und damit ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor, sagt Simon Casas, ehemaliger Matador aus Nîmes, der jetzt Stierkämpfe organisiert. Er unterstreicht, dass weit über die Hälfte der Zuschauer in Nîmes aus der ganzen Welt in seine Heimatstadt kämen. Dieses würden dann sehr viel Geld ausgeben, um eine Féria mitzuerleben. Dann zitiert der Geschäftsmann eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer Nîmes aus dem Jahr 2013, nach der 55 Prozent der Restaurantbesitzer den Einfluss der Veranstaltungen auf die Stadt positiv oder sogar sehr positiv sehen würden. Nur 17 Prozent sähen negative Auswirkungen. Für die Kritiker der Férias bringt Simon Casas kein Verständnis auf. „Der Stierkampf ist eine Kunst," sagt er.

Die Gegner wollen aber keine Ruhe geben. Immer wieder gelingt es ihnen, kleinere Veranstaltungen verbieten zu lassen, weil zum Beispiel gegen Sicherheitsauflagen oder den Tierschutz verstoßen wurde. Ziel ihrer Klagen sind auch Zuchtbetriebe, wo die Stiere auf ihren Kampf in den Arenen vorbereitet werden. So erzielen die Tierschütze immer wieder kleine Erfolge und agieren in der sehr ungewissen Hoffnung, dass der Stierkampf eines Tages in Frankreich ganz verboten werden könnte.

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