Porträt des britischen EU-Befürworters Craig Oliver Die freigelassenen Brexit-Dämonen

London · Craig Oliver war der Stratege für die Pro-EU-Kampagne beim Brexit-Referendum. In seinem Buch „Unleashing Demons“ ringt er um eine Erklärung, was falsch lief.

In der Morgendämmerung verlässt Craig Oliver die Downing Street, geht durch die berühmte Tür mit der Nummer zehn hinaus in das noch ruhige London. Es ist der 24. Juni, und während die letzten Ergebnisse des Referendums um die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens bei der BBC eintrudeln, steht Oliver, Kommunikationschef der britischen Machtzentrale, auf der menschenleeren Hauptstraße im Regierungsviertel und übergibt sich. Die Anhänger eines Verbleibs in der Gemeinschaft haben verloren, so viel ist zu dieser Stunde bereits klar. Die Mehrheit der Briten stimmte für den Brexit.

Nur wenige Minuten zuvor diskutierte Oliver noch mit dem „in jeder Hinsicht resignierten“ Premierminister David Cameron über dessen unausweichlichen Rücktritt. Was lief schief? Die Frage hämmert im Kopf von Oliver, der zum innersten Kreis um Cameron gehörte und maßgeblich an der Strategie des Pro-EU-Wahlkampfs beteiligt war. Der 47-Jährige darf getrost als einer der Architekten der Remain-Kampagne bezeichnet werden – die doch so krachend gescheitert ist.

Wie zur Belohnung wurde er auf Geheiß vom Ex-Regierungschef mittlerweile zum Sir geadelt und nun sitzt Sir Craig Oliver knapp vier Monate später an einem Oktobermorgen in einem schicken Konferenzraum mit Glasfront, die den Blick über die Themse freigibt. In der Ferne dreht sich das Riesenrad „London Eye“, dahinter versteckt sich Westminster, sein ehemaliger Arbeitsplatz, wo heute Theresa May als Premierministerin das Brexit-Chaos verwaltet. Oliver wirkt entspannt. Beschäftigt ist er noch immer, aber in eigener Sache. Mit „Unleashing Demons“ (was übersetzt so viel heißt wie „Die Dämonen sind freigelassen“) hat er gerade ein Buch veröffentlicht, dessen Titel ein Zitat Camerons ist. Denn dieser hatte geahnt, dass die Diskussionen innerhalb der in der EU-Frage zerrissenen konservativen Partei schwer werden würden. „Aber ich denke nicht, dass er das Ausmaß erwartet hätte.“

Craig Oliver dröselt in seinem Buch noch einmal im Detail das ganze Versagen auf, ohne dass er es natürlich als ein Versagen, geschweige denn sein eigenes, beschreiben würde. Was also lief seiner Meinung nach schief? „Wir haben alle unsere Karten auf die Wirtschaft und damit auf das Argument des wirtschaftlichen Risikos gesetzt. Wir dachten, das würde alle anderen ausstechen“, sagt er. „Aber das Thema Einwanderung wurde immer größer und darauf hatten wir keine ausreichende Antwort.“ Hinzu kam, dass man sich auf Umfragen verlassen hat, die eines nicht vorausgesagt haben: „Drei Millionen Menschen, die sich weder bei der Parlamentswahl 2015 noch bei anderen Wahlen beteiligt hatten, haben plötzlich abgestimmt und so sichergestellt, dass das Leave-Lager gewinnt.“

Ab Februar 2011 leitete Oliver die Kommunikationsabteilung und wurde so auch Zeuge der Verhandlungen des Königreichs mit den anderen europäischen Mitgliedstaaten. Die Briten forderten Reformen bei der Personenfreizügigkeit. Doch hier stellte sich Oliver zufolge vor allem Kanzlerin Angela Merkel quer. Erhielt London also nicht genug Unterstützung von deutscher Seite? „Ich denke, Merkel ist der Meinung, dass sie hilfreich war und sie wollte den Eindruck gewinnen, dass sie uns aushilft.“ Im Endeffekt aber sei sie nicht bereit gewesen, „uns darin zu unterstützen, Änderungen bei der Personenfreizügigkeit durchzusetzen“. Einwanderung war und ist noch immer das vorherrschende Thema auf der Insel. Die Dämonen sind längst nicht eingefangen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort