US-Wahl Die Baustellen des neuen Präsidenten

Washington · Wer auch immer heute als Sieger der amerikanischen Präsidentenwahl ausgerufen wird: Viel Muße, den Erfolg zu feiern, wird er nicht haben.

Schon in der Interims-Phase bis zur Amtseinführung am 20. Januar nächsten Jahres sind wichtige Entscheidungen vorzubereiten. Oder voranzutreiben. Pause im Weißen Haus gibt es nicht. Zu viel zu tun, außen- wie innenpolitisch.

Eine Übersicht:

  • Iran: Wichtigste Baustelle außerhalb der Landesgrenzen ist die Sorge vor einer atomaren Bewaffnung des Iran. Die Wirtschaftssanktionen wirken zwar. Aber noch hat Teheran nicht eingelenkt und einen uneingeschränkten Einblick in seine unterirdische Uran-Anreicherung gewährt.
  • Israel hat die Tonlage zwar abgemildert. Aber das Szenario eines Militärschlags gegen den Iran steht nach wie vor im Raum. Sowohl Obama als auch Romney hatten vor der Wahl deutlich gemacht, dass sie nicht zulassen werden, dass Teheran Atommacht wird. Im Frühjahr wird voraussichtlich erkennbar, ob eine diplomatische Lösung gelingen kann. Oder ob eine militärische Eskalation immer näher rückt.
  • Arabischer Frühling: Das Attentat auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi hat nicht nur Amerika schmerzlich vor Augen geführt, wie schlecht es um die demokratisch orientierten Freiheitsbewegungen im arabischen Raum bestellt ist. Die Aussicht auf zunehmenden Einfluss radikaler Islamisten in den nördlichen Anrainerstaaten des Mittelmeeres konterkariert die Erzählung der Regierung Obama, dass El Kaida substanziell geschwächt sei.
  • Der unverändert blutige Bürgerkrieg in Syrien, über den es im UN-Sicherheitsrat wegen der Blockadehaltung Chinas und Russlands bisher keine Verständigung gibt, sitzt Washington ebenso im Nacken wie der trostlose Zustand im Nahost-Konflikt. Israel und Palästinenser wieder an einen Tisch zu lotsen, wird Aufgabe der neuen Regierung sein.
  • China: Mit der neuen, beinahe zeitgleich bestimmten Führung in Peking wird der neue Präsident vor allem die latenten Handelskonflikte in konstruktive Bahnen lenken müssen. Der Streit um Strafzölle und Produktpiraterie dürfte nicht nur die Welthandelsorganisation (WTO) weiter beschäftigen, sondern auch ein neues Einvernehmen auf oberster Ebene erfordern. Einen Handelskrieg können sich beide Seiten nicht leisten. China ist Amerikas wichtigster Gläubiger. Umgekehrt benötigt China die USA als Absatzmarkt für seine Produkte.
  • Europa: Seit die Euro-Krise eingehegt zu sein scheint, fällt das Kürzel EU in Washington so gut wie gar nicht mehr. Obama vertraut auf die Führungskraft von Angela Merkel. Mitt Romney hatte mit Europa (außer als Sandsack für Sozialismus-Verdächtigungen...) bislang gar nichts am Hut.
  • Über den Umweg Afghanistan könnte sich das ändern. Wenn die US-geführte Internationale Schutztruppe (Isaf) Ende 2014 das Gros der Soldaten vom Hindukusch abziehen wird, muss eine neue Mission zur Stabilisierung und weiteren Ausbildung der einheimischen Sicherheitskräfte her. "Itam" heißt das Kürzel, das sich zu merken lohnt. Das kostet viel Geld und Personeneinsatz. In Washington wird damit gerechnet, dass der neue Präsident Europa hier "eine höhere Rechnung ausstellen wird".
  • Innenpolitik: Es dreht sich alles ums Geld. Um das Geld, das man nicht hat. Ende 2012 erreichen die USA eine im vergangenen Sommer vereinbarte Schuldenobergrenze. Wird sie gerissen, droht der Sturz von der "finanziellen Klippe", dem "fiscal cliff". Dahinter verbergen sich automatisch einsetzende drastische Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen von Militär bis Soziales, die nach Einschätzungen von Experten zusammen fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufsaugen und eine Rezession auslösen könnten.
  • Bisher haben sich Präsident, Senat und Repräsentantenhaus nicht auf eine Alternative zur Rosskur verständigen können (oder wollen). Im Kern stehen unterschiedliche steuerpolitische Vorstellungen und Kontroversen über die Reichweite des Abbaus staatlicher Ausgaben einer Einigung entgegen. Jetzt drängt die Zeit so stark wie nie zuvor.
  • Arbeitsplätze: Trotz einer gewissen Entspannung und eines zaghaft konstanten Stellenaufwuchses sieht der Arbeitsmarkt mit einer Arbeitslosenquote von 7,9 Prozent für amerikanische Verhältnisse alles andere als rosig aus. Legt man die jetzigen Wachstumsraten an, benötigt Amerika noch mindestens drei Jahre, um jene Jobs wieder zu gewinnen, die durch die Rezession 2008 verloren gingen.
  • Ein großes nationales Infrastrukturprogramm in Straßen, Brücken und Energienetze, das Experten auf jährlich 200 Milliarden Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren angesetzt sehen wollen, würde Arbeitsplätze schaffen. Kehrseite der Medaille: Kurzfristig würden die Staatsschulden weiter steigen. Und: Die Republikaner lehnen diese Vorgehensweise ab. Sie wollen die Wirtschaft vor allem durch Steuererleichterungen für Unternehmen in Schwung bringen. Wie auch immer: Vom Weißen Haus wird ab sofort höchstes Engagement bei der Schaffung von Jobs erwartet.
  • Einwanderung: Restriktive Gesetze gegen Immigranten haben in südlichen Bundesstaaten bereits erhebliche wirtschaftliche Schäden verursacht. Hunderttausende Saisonarbeiter sind einfach weitergezogen; in freundlichere Bundesstaaten oder zurück nach Lateinamerika. Aber elf Millionen Einwanderer ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung leben seit vielen Jahren in Amerika. Der Druck, einem nennenswerten Teil den Weg zur nachträglichen Einbürgerung zu ermöglichen, wird immer größer. Eine größere Einwanderungsreform, wie sie Obama zu Beginn seiner Amtszeit angekündigt, dann aber wegen des Drucks der Republikaner auf Eis gelegt hat, ist überfällig.
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