Währungsverfall in Großbritannien Der tiefe Fall des britischen Pfunds

London · Seit dem Brexit-Votum hat das Pfund gegenüber anderen Währungen an Wert verloren. Die Briten werden das wohl bald im eigenen Portemonnaie spüren.

Die Metropole London mag eine der teuersten Städte der Welt sein, Luxus aber gibt es derzeit für günstiges Geld. Im Westfield-Einkaufszentrum im Westen der Hauptstadt drängen sich an diesem Donnerstag zahllose Menschen durch die hell erleuchteten Hallen. Mehr als sonst flanieren durch die Edelboutiquen. Mit Diamanten besetzter Schmuck. Designer-Schuhe. Sündhaft teure Füllfederhalter. Im Taschengeschäft von Louis Vuitton tummeln sich besonders viele Touristen. Diese Tage fühlt es sich für ausländische Besucher an, als sei so ziemlich alles „on sale“ – im Ausverkauf. Grund dafür ist das schwache Pfund. Es fällt und fällt und fällt, seit die Mehrheit der Briten am 23. Juni für den Ausstieg aus der EU gestimmt hat.

Laut Recherchen des Wirtschaftsprüfers Deloitte sind derzeit Luxusgüter gemessen am Dollar im Königreich so billig wie sonst nirgendwo – ein Umstand, der jedoch nur Touristen erfreut. Viele Briten befürchten längst negative Folgen durch den Brexit. Der Preiskampf zwischen der Supermarktkette Tesco und dem niederländisch-britischen Konsumgüterriesen Unilever um Alltagsprodukte wie den Kult-Brotaufstrich Marmite, eine auf der Insel äußerst populäre geschmacksintensive Paste aus Hefeextrakt, ist nach einem öffentlichen Aufschrei, der als „Marmitegate“ in die sozialen Medien zog, zwar wieder beigelegt. Doch das Problem dürfte bestehen bleiben. Lebensmittelhersteller und Beobachter gehen davon aus, dass – sollte das Pfund so schwach bleiben – die Preise für Alltagsprodukte in Kürze schon steigen werden. So bekräftigte der Vize-Chef der britischen Notenbank, Ben Boradbent, gerade erst in einem BBC-Interview die Einschätzung der Bank of England, dass die Inflation 2017 die Marke von zwei Prozent überschreiten könnte.

Wegen der Ungewissheit über die wirtschaftlichen Folgen des Brexits hat die britische Währung zum Dollar rund achtzehn Prozent verloren. Zum Euro hat sie mehr als 15 Prozent eingebüßt.

Die Finanzmärkte reagierten erschrocken, nachdem die britische Premierministerin Theresa May ankündigte, das Austrittsverfahren bis Ende März 2017 einzuleiten, und so gut wie ausschloss, dass das Königreich in Zukunft weiterhin Mitglied des gemeinsamen Binnenmarkts der EU sein wird. Wichtiger als der hürdenlose Handel scheint für die Regierung das Thema Einwanderung zu sein. May versprach, dass Großbritannien nach dem EU-Ausstieg nicht mehr der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterliegen werde und das Land selbst über Produktstandards und die Zahl der Einwanderer entscheiden könne.

Die konservativen EU-Skeptiker auf dem Parteitag bejubelten die harsche Ansprache der Regierungschefin und verweisen unaufhörlich darauf, dass das große Brexit-Beben, das viele Ökonomen prophezeit hatten, ausgeblieben sei. Die Arbeitslosenquote ist nicht gestiegen und die Wirtschaft soll in diesem Jahr laut Prognosen schneller wachsen als etwa in Deutschland. Erst für 2017 sagen Volkswirte eine Abkühlung voraus. Anders als im Brexit-Lager herrscht an den Devisenmärkten keine Partystimmung. Hier dominieren die Sorgen.

In London, Europas Finanzzen-trum, sitzen neben jenen aus Europa auch zahlreiche internationale Banken, Versicherer und Dienstleister. Insgesamt beschäftigt der Sektor in der Hauptstadt 360 000 Menschen. Die Unsicherheit sei „Gift“, hallt es durch die Wolkenkratzer der City, wo alle Optionen durchgespielt werden. So errechnete die Beratungsfirma Oliver Wyman, dass durch einen harten Bruch mit der EU im schlimmsten Fall bis zu 75 000 Arbeitsplätze bei Banken wegfallen sowie die Umsätze der Branche um knapp 40 Milliarden Pfund schrumpfen könnten, was Einbußen der Steuereinnahmen um zehn Milliarden Pfund nach sich ziehen würde.

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