Porträt vom französischen Präsidentschaftskandidaten Der Senkrechtstarter

Paris · Emmanuel Macron ist die Überraschung im französischen Wahlkampf. Der 39-Jährige profitiert von der Schwäche seiner Gegner.

 Überraschung im französischen Wahlkampf: Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron.

Überraschung im französischen Wahlkampf: Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron.

Foto: dpa

„Das ist ein Verführer“, sagt die Dolmetscherin, als sie auf den unabhängigen Präsidentschaftskandidaten angesprochen wird, dessen Rede sie übersetzen sollte. Sie sei es gewöhnt, dass Politiker schnurstracks an ihr vorbei auf die Bühne marschieren. „Doch Emmanuel Macron kam kurz in meine Kabine, um mich zu begrüßen.“ Das macht Eindruck.

Macron gilt als Senkrechtstarter im französischen Wahlkampf. Als er vor einem Jahr, damals noch als Wirtschaftsminister der sozialistischen Regierung, seine Partei „En marche!“ („In Bewegung!“) gründete und sich gegen seinen Mentor François Hollande in die Kampagne stürzte, galt dieses Vorgehen als halsbrecherisch. Macron hatte weder einen großen Parteiapparat hinter sich noch eine lokale Verankerung. Doch dank sozialer Netzwerke wuchs „En marche!“ schnell.

Freiwillige führten Tür-zu-Tür-Befragungen im ganzen Land durch und machten auf Basis der Antworten Vorschläge, die Macron in sein Programm einarbeitete. Dazu gehören der Umbau der Rentenversicherung, um beim Staat und in der Privatwirtschaft Beschäftigte ähnlich zu behandeln, ein Investitionsprogramm und eine Lockerung des Arbeitsrechtes – anstatt die 35-Stunden-Woche pauschal abzuschaffen, sollen Vereinbarungen auf Betriebs- und Branchenebene Vorrang haben. Als einziger Kandidat verpflichtet sich der 39-Jährige, das Defizitkriterium von drei Prozent einzuhalten und wirbt für eine Vertiefung der europäischen Zusammenarbeit.

Heute zählt „En marche!“ mehr als 200 000 Mitglieder und will bei den Parlamentswahlen im Juni in allen Wahlkreisen eigene Kandidaten aufstellen. Denn sollte Macron bei den Präsidentenwahlen am 23. April und 7. Mai siegen, braucht er eine Mehrheit in der Nationalversammlung, um seine Ideen umzusetzen. Er hat angekündigt, sowohl mit der gemäßigten Linken wie der Rechten und natürlich der politischen Mitte zusammenarbeiten zu wollen – mit allen „Progressisten“.

Traditionelle Grenzen überschreiten

Macron profitiert von der Schwäche seiner Gegner: Marine Le Pen liegt in Umfragen zwar vorne, doch ein Sieg bei der Stichwahl scheint unwahrscheinlich. Der Konservative François Fillon ist durch den Skandal um Scheinbeschäftigung seiner Frau stark geschwächt. Die Sozialisten wiederum wählten mit Benoît Hamon einen Parteilinken zum Kandidaten, der sich sehr abseitig positioniert.

Immer mehr Sozialisten schließen sich Macron an. „Ich bin kein Gästehaus“, wehrt dieser ab, da er sich nicht zu sehr mit der Bilanz des ungeliebten Präsidenten identifizieren will. Schließlich erklärt er, traditionelle Parteigrenzen zu überschreiten und nicht nur Berufspolitiker ins Kabinett holen zu wollen, sondern auch Personen aus der Zivilgesellschaft.

So antwortet er auf den Verdruss vieler Franzosen an einem System, in dem eine realitätsferne Elite nach eigenen Regeln funktioniert; dabei kommt Arztsohn Macron, der nach einem Philosophiestudium die Kaderschmiede ENA besucht hat, selbst aus diesem System. Im Anschluss trat er zunächst in die staatliche Finanzinspektion ein, das Kontrollorgan im Wirtschafts- und Finanzministerium. 2008 wechselte er zur Rothschild-Bank, bis er nach Hollandes Wahl 2012 dessen Wirtschaftsberater wurde und zwei Jahre Wirtschaftsminister.

Zu vermarkten weiß sich der Ex-Minister in der Tat. Stolz präsentierte er sich Hand in Hand mit seiner 24 Jahre älteren Frau Brigitte im Boulevardmagazin „Paris Match“. Kennengelernt hat er sie als 17-Jähriger. Seine Liebesgeschichte kommt gut an – scheint sie doch zu zeigen, dass sich Macron nicht um vorgefertigte Meinungen schert.

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