Flüchtlinge in Frankreich Der „Dschungel“ von Calais steht vor der Räumung

Paris · Frankreichs Präsident François Hollande will noch vor dem Winter das Flüchtlingslager am Ärmelkanal schließen. Ex-Präsident Nicolas Sarkozy fordert systematische Grenzkontrollen.

Improvisierte Zelt- und Matratzenlager, in denen Tausende Flüchtlinge auf engem Raum und ohne ausreichende sanitäre Einrichtungen leben – diese Situation belastet Calais seit Jahren. Denn die meisten Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten auf dem Weg nach Großbritannien wählen eine Route über die nordfranzösische Küstenstadt. Und kommen hier oft nicht mehr weiter: Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen am Hafen und am Eurotunnel erschweren zunehmend die Weiterreise, während immer neue Flüchtlinge ankommen.

Ihre Zahl wird inzwischen auf bis zu 10 000 geschätzt, darunter 1000 Minderjährige – doch mit dem „Dschungel“, wie das wilde Lager genannt wird, soll bald ein Ende sein, versprach Präsident François Hollande Montag vor Ort. „Wir müssen das Lager komplett und definitiv auflösen“, sagte er am Rande von Treffen mit Polizei- und Sicherheitskräften, Lokalpolitikern, Vertretern der Wirtschaft und von Hilfsorganisationen. Diese hatten im Vorfeld an ihn appelliert, aus einer „Verwaltungs-Logik auszubrechen“ und einen humanen Umgang mit Menschen in Not zu pflegen. Ein Besuch des Präsidenten im „Dschungel“ selbst war nicht vorgesehen.

Dort ist die Lage angespannt. In der vergangenen Woche kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und der Polizei beim Beginn von Bauarbeiten für eine Mauer an der Schnellstraße zum Hafen. Jede Nacht versuchen dort Dutzende Menschen, auf Lastwagen aufzuspringen, die den Ärmelkanal überqueren – manche werden dabei von Fahrzeugen erfasst. Einen Kilometer lang und vier Meter hoch wird die Mauer, deren Bau London mit umgerechnet 2,7 Millionen Euro finanziert.

Beide Länder wollen so illegale Flüchtlinge von ihrem Vorhaben abhalten. Auch unter den Flüchtlingen brechen immer wieder Konflikte aus. Es fehlt am Nötigsten, obwohl die Regierung zu Jahresbeginn ein Aufnahmezentrum mit Waschmöglichkeiten, Unterkünften für 400 Frauen und Kinder sowie 1500 Männer-Schlafplätze in Containern errichten ließ. Ausreichend war das nicht.

Nun sieht der Plan vor, bis Jahresende 9000 Plätze in 164 „Aufnahme- und Orientierungszentren“ im ganzen Land zu schaffen. Dort sollen die Menschen, die überwiegend aus dem Sudan, Eritrea und Afghanistan stammen, individuell beraten und gegebenenfalls zu einem Asylantrag in Frankreich bewegt werden. Viele haben allerdings bereits Familie und Freunde in Großbritannien und glauben, dort leichter Schwarzarbeit zu finden.

Die konservative Opposition kritisiert die Pläne, sie ließen „Mini-Dschungel“ im ganzen Land entstehen. Längst bestimmt das Thema den Wahlkampf vor den Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr.

Während Hollande nach einem Mittelweg zwischen „Humanität und Strenge“ sucht, wie er Montag bekräftigte, forderte Ex-Präsident Nicolas Sarkozy vor einigen Tagen in Calais systematische Grenzkontrollen, damit Frankreich nicht „von Flüchtlingen überschwemmt“ werde. Auch Hollande rief London dazu auf, „seinen Anteil an der humanitären Anstrengung“ zu leisten, doch Sarkozy will sogar die Neuverhandlung des bilateralen Vertrags von Le Touquet, den er 2003 als Innenminister selbst ausgehandelt hatte. Dieser sieht gemeinsame Kontrollen vor und verortet die Grenze zwischen beiden Ländern in Calais anstatt Dover, während sich London finanziell an deren Sicherung beteiligt. Die Franzosen seien aber „nicht die Zollbeamten der Engländer“, ließ Sarkozy wissen.

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