Brexit-Verhandlungen Das große Kräftemessen

Brüssel · Mit dem Pro-Europäer Michel Barnier und dem britischen EU-Gegner David Davis treffen bei den Gesprächen über den EU-Austritt Großbritanniens am Verhandlungstisch zwei politische Kulturen aufeinander.

 Der ehemalige französische Außenminister Michel Barnier führt für die EU die Vertragsverhandlungen mit Großbritannien zum Brexit. Die Briten sind aus vielerlei Gründen nicht gut auf ihn zu sprechen.

Der ehemalige französische Außenminister Michel Barnier führt für die EU die Vertragsverhandlungen mit Großbritannien zum Brexit. Die Briten sind aus vielerlei Gründen nicht gut auf ihn zu sprechen.

Foto: picture alliance / dpa

Was wollen die Briten? Einen blutigen Brexit? Worauf die Parteitagsrede der britischen Premierministerin Theresa May Anfang Oktober hinweist. Oder einen samtenen Brexit? Was im Interesse der Unternehmen im Vereinigten Königreich und in der künftigen EU der 27 wäre. So richtig scheinen es selbst die Briten nicht zu wissen. Nach harschen Äußerungen zu Beschäftigungsmöglichkeiten von EU-Bürgern ruderte May zuletzt wieder zurück. Klar ist, dass die Scheidungsverhandlungen im Frühjahr losgehen.

In Brüssel hält man sich an das Dogma, das EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Juni nach dem Brexit-Votum ausgegeben hat: „No negotiation without notification.“ (Keine Verhandlungen ohne förmliche Anzeige des Austrittswunsches). Noch gut fünf Monate, dann gehen die Verhandlungen los. Die Nervosität ist groß, weil keiner so recht weiß, worauf man sich einstellen soll.

Immerhin haben die drei Institutionen der EU schon einmal das Personal bestimmt, das bei den Verhandlungen eine zentrale Rolle spielen wird. Für die Kommission wird der Franzose und langjährige EU-Kommissar Michel Barnier (65) an der Spitze stehen. Für den Rat, dies ist die Institution der 27 Mitgliedsstaaten, ist der belgische Spitzendiplomat Didier Seeuws (51) gesetzt. Und für das EU-Parlament geht der langjährige belgische Premierminister und jetzige Chef der liberalen Fraktion im Europa-Parlament, Guy Verhofstadt (63), ins Rennen.

Die zentrale Rolle dabei kommt Barnier zu. Als Ex-EU-Kommissar und ehemaliger französischer Außenminister ist er nicht nur derjenige, der den hochkarätigsten Lebenslauf vorweisen kann. Das wichtigste ist: Er vertritt die Kommission, die als Hüterin der Verträge zuständig für Vertragsverhandlungen ist. Hinzu kommt: Nur die Kommission verfügt über den notwendigen Beamtenapparat und damit die fachliche Expertise, um die zunächst einmal auf zwei Jahre angelegten Verhandlungen zu führen.

Als Verhandlungsführer der Kommission ist Barnier dafür zuständig, wie das Scheidungsdokument am Ende aussieht. Man muss sich den Austritt eines Landes so ähnlich vorstellen wie den Beitritt, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen.

Alte Bekannte am Verhandlungstisch

Barnier, ein Konservativer, ist in London kein Unbekannter. In den Jahren nach der Finanzkrise hat er als Binnenmarktkommissar den Bankern in der Londoner City Regeln gesetzt, die dort auf wenig Gegenliebe stießen. So hat er etwa dafür gesorgt, dass Obergrenzen für ihre Boni eingezogen wurden. Der damalige britische Finanzminister Paul Myners sagte über Barnier: „Für mich ist er ein Mann, den wir mit einem sehr langen Löffel anfassen sollten.“ Barnier ist groß gewachsen, stammt aus den französischen Alpen, ist leidenschaftlicher Skiläufer und hat erst im fortgeschrittenen Alter als EU-Kommissar, dafür aber umso beharrlicher Englisch gelernt.

Am Verhandlungstisch wird ihm ein alter Bekannter gegenübersitzen: Der Chef-Unterhändler der Briten ist der Europaskeptiker und frisch ernannte Austrittsminister David Davis (67). Mehr als 20 Jahre ist es her, dass die beiden in London und Paris Europaminister waren und in einer Arbeitsgruppe aufeinandertrafen, um einen neuen EU-Vertrag auszuhandeln. Davis, der Rechtsaußen-Mann der britischen Tories, hieß damals „Monsieur Non“. Er widersetzte sich jedem Versuch, nationale Kompetenzen an Brüssel abzugeben. Barnier dagegen ist überzeugter Pro-Europäer. Zwei politische Kulturen, zwei Charaktere stießen aufeinander. Bald werden sie wieder die Gelegenheit haben, sich miteinander zu messen.

Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, hat den Belgier Didier Seeuws zu seinem Brexit-Unterhändler gemacht. Seeuws ist kein Politiker, sondern Diplomat. Er wechselt – wie es sich für ein Produkt der zerrissenen belgischen Politik gehört – mühelos zwischen Französisch und Niederländisch.

Unmittelbar nach dem Brexit-Votum hatte es eine Rangelei zwischen Kommission und Rat um die führende Rolle bei den Verhandlungen gegeben. Die Hitze hat sich aber wieder gelegt. Tusk hat die Führungsfunktion der Kommission akzeptiert. Klar ist, dass die Kommission mehr bei Fragen wie Binnenmarkt, Umwelt, Verbraucherschutz und Landwirtschaft zuständig ist, der Rat bei Innen-, Außen- und Verteidigungspolitik. Partikularinteressen der EU-Hauptstädte werden ohnehin auftauchen: Spanien sorgt sich um Gibraltar, Irland um Nordirland. Den Deutschen ist wichtig, dass BMW ungestört weiter auf der Insel Autos bauen und auf dem Kontinent zollfrei verkaufen kann. Und Polen, Bulgaren und Rumänen dürften die Personenfreizügigkeit obenan stellen.

Mister Brexit im Parlament ist ein weiterer Belgier: Guy Verhofstadt. Ebenfalls Flame, flammender Pro-Europäer, der neun Jahre als belgischer Regierungschef eine Koalition aus Liberalen, Grünen und Sozialdemokraten geführt hat. Verhofstadt will sich mit seinen 63 Jahren noch nicht zur Ruhe setzen, dürstet nach der nächsten Herausforderung. Ob der Belgier einen Platz am Verhandlungstisch bekommt? Unwahrscheinlich. Dennoch wird von ihm erwartet, dass er die Wünsche des Parlaments vertritt. „Wir sind die Bürgerkammer“, sagt ein Abgeordneter, „also muss er die Bürgerrechte verteidigen.“ Zum Beispiel dafür sorgen, dass die Jungen auch nach dem Brexit noch zum Studieren nach England gehen können.

Ob der Brexit blutig wird oder samten, ob es lange dauert oder schnell geht, das ist alles nicht ausgemacht. Klar ist nur, wie die Rollen verteilt sind: Die Kommission muss den Scheidungsvertrag aushandeln. Wenn der Vertrag dann vorliegt, werden Parlament und Rat um die Zustimmung gebeten.

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