Interview mit Afrika-Experte Ludger Kühnhardt Das Potenzial der afrikanischen Diaspora

Afrikas Staaten können derzeit aus vielen Hilfsprogrammen das auswählen, das kaum Forderungen an gute Regierungsführung stellt. Ein Interview mit dem Bonner Professor und Afrika-Experten Ludger Kühnhardt.

Aktuell rückt Afrika wieder in den Fokus: Europa fürchtet den wachsenden Migrationsdruck. Professor Ludger Kühnhardt ist Direktor am Bonner Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) und Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Mit dem Afrika-Experten, der kürzlich ein Buch zum Thema („African Consensus“) veröffentlichte und dessen Rat auch in der Politik gefragt ist, sprach Wolfgang Wiedlich.

Keine Dritte-Welt-Region hat mehr Entwicklungshilfe erhalten als Afrika. Trotzdem bleibt der Kontinent krisengeschüttelt. Befördern die Millionen tendenziell die Korruption in afrikanischen Regierungen?
Ludger Kühnhardt: Korruption ist immer Folge eines Systemfehlers: Wo Mangelwirtschaft herrscht, hat Korruption besonders verheerende soziale und gesellschaftliche Folgen. Deswegen muss der Ansatz der Kooperation mit Afrika neu durchdacht werden.

Aktuell erleben wir weltweit einen Überbietungswettbewerb an Hilfsprogrammen für afrikanische Länder. Es führt dazu, dass die Regierungen Afrikas sich aus dem Strauß der Angebote dasjenige auswählen können, was an sie die wenigsten Forderungen in Sachen guter Regierungsführung stellt. Überall werden bergeweise Strategiepapiere zur Zukunft Afrikas produziert, aber nur sehr wenig ist untereinander koordiniert. Das ist besonders beklagenswert im Kreis der G20-Länder.

Hier hat Deutschland jetzt ein Jahr lang den Vorsitz. Welche Neuausrichtung könnte es bewirken?
Kühnhardt: Deutschland sollte es sich zur Aufgabe machen, bessere Koordination, weniger Rhetorik und mehr konkrete gemeinsame Projekte der Partner Afrikas voranzubringen.

Dabei wird in Afrika nur Erfolg haben, was Afrika von Afrikanern selbst als notwendig und sinnvoll betrachtet wird und die dortigen Bedingungen und Möglichkeiten zum Startpunkt akzeptiert. Mit noch so viel externem Geld lässt sich keine Entwicklung induzieren, die muss aus den afrikanischen Gesellschaften selbst kommen.

Die nichtafrikanischen Partner müssen aufhören, sich immerfort um Afrika „kümmern“ zu wollen und Ziele zu predigen, die von unseren Vorstellungen, aber nicht den Lebenswirklichkeiten Afrikas geprägt sind. Sie müssen zuhören, verstehen und die afrikanischen Ansätze eigener Entwicklung unterstützen.

Wurde nicht in Teilen von den Geberländern aus Erfahrungen bereits gelernt? Viele Gelder werden doch nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip, sondern inzwischen konkret projektbezogen vergeben.
Kühnhardt: Ja, aber noch immer steht viel zu sehr im Fokus ein Entwicklungsmodell, das unsere Erfahrungen an Staatlichkeit und Wirtschaftsordnung zugrunde legt.

An erster Stelle geht es heute auf dem afrikanischen Kontinent um die Schaffung von Infrastrukturen und von dauerhaften Arbeitsplätzen, die vor allem jungen, immer besser ausgebildeten Menschen verlässliche Lebensperspektiven in Afrika ermöglicht. Der Westen muss kreativer vorgehen und dabei auch mehr als bisher von China lernen und mit China zusammenarbeiten.

Chinas Entwicklung seit den späten 1970-er Jahren wurde ganz entscheidend durch Rechtssicherheit und Investitionen von Auslandschinesen vorangebracht. Auch die G20-Länder wären gut beraten, Wege zu finden, wie das enorme Potenzial der afrikanischen Diaspora besser für Investitionen in Afrika genutzt werden könnte.

Auslands-Afrikaner sollten sich also stärker als bisher für ihre Heimatländer engagieren?
Kühnhardt: Afrikaner verfügen immerhin über mehr als 600 Milliarden Euro Privatvermögen auf Bankkonten in Europa und Nordamerika. Es fließt heute mehr Geld aus der afrikanischen Diaspora an deren Familien in Afrika als alle auswärtige Entwicklungshilfe zusammen.

Aber das meiste Geld geht in den Konsum und nicht in nachhaltige Wirtschaftsförderung. Die G20-Länder könnten zum Beispiel den Aufbau eines genossenschaftlich basierten Bankenwesens in Afrika unter Mitwirkung der Auslandsafrikaner und ihrer Möglichkeiten fördern.

Das würde auch bei vielen Nichtafrikanern das Zutrauen in den afrikanischen Fortschritt erhöhen und Investitionsentscheidungen in Afrika erleichtern.

Wird dieser Ansatz, wonach deutlich mehr Impulse für eine zukunftsträchtige Entwicklung aus den Gesellschaften selbst kommen sollten, nicht dadurch erschwert, dass hoch qualifizierte Afrikaner nach ihrem Studium an Universitäten im Ausland nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren?
Kühnhardt: Das ist eine beklagenswerte Tatsache. In Chicago gibt es beispielsweise mehr äthiopische Ärzte als in ganz Äthiopien. In Europa leben rund 30.000 promovierte Afrikaner. Diese Menschen machen alle einen guten Job, aber sie fehlen natürlich zu Hause.

Das gleiche Problem stellt sich übrigens auch bei Flüchtlingen, wenn wir diese als Reserve für unsere Arbeitsmärkte verstehen anstatt sie zu ertüchtigen, sobald die Verhältnisse es zulassen, wieder in ihre Heimat zurückzukehren und dort beim Entwicklungsprozess mit ihren Erfahrungen mitzuwirken.

Wegen der vielfachen Widersprüche in der westlichen Flüchtlings- und Migrationspolitik werden viel zu oft Flüchtlinge und Migranten aus wirtschaftlichen Motiven in den Analysen vermischt. Aber umgekehrt gilt auch, dass Afrikaner, die auf der Suche nach besseren Lebenschancen sind, sich schnell zum politischen Flüchtling erklären, wenn sie dadurch neue Chancen finden können.

Genau wegen dieser so vertrackten Situation haben sich die Regierungen europäischer Staaten stärker wieder den afrikanischen Fragen zugewandt, weil sie künftige Flüchtlingsströme verhindern wollen und verstanden haben, dass dies nur gelingt, wenn Lebenschancen in Afrika besser und vor allem stabiler werden.

Ein Entwicklungshilfe-Experte sagte neulich, in Afrika säßen 50 Millionen junge Erwachsene auf gepackten Koffern. Stimmt die Größenordnung?
Kühnhardt: Die Zahl können Sie ruhig noch vergrößern. Einschlägige Berichte und Forschungen gehen davon aus, dass von 1,2 Milliarden Afrikanern rund 50 Prozent nach dortigen Maßstäben der Mittelschicht angehören. Sie besitzen Kühlschrank, Motorroller, Handy und vor allem einen TV-Satellitenempfänger, über den sie nicht nur FC-Bayern-Fußballspiele sehen, sondern auch, auf welchem Niveau vermeintlich jedermann in westlichen Gesellschaften lebt.

Solange Menschen sich zwar zur Mittelschicht zählen können und es ihnen besser geht als vor einer Generation, das Land um sie herum aber weiterhin arm ist und daher auch ihr eigenes Leben unsicher, überlegen sie auszuwandern und ihr Lebensglück woanders zu suchen. Hier genau beginnt das Geschäftsmodell der Schlepper: Es wurde durch die bisher unvollendete Globalisierung erst ermöglicht.

Die Politik in der Europäischen Union ist nun fast damit überfordert, aus dem Modus der Schadensbegrenzung wieder heraus zu kommen und die grundsätzlichen und langfristigen Elemente des Themas zum Ausgangspunkt des eigenen Handelns zu machen. Das aber ist entscheidend, wenn das neue Interesse an Afrika von dauerhaftem Nutzen für beide Seiten sein soll.

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