Fragen und Anworten Britisches Unterhaus stimmt über Brexit-Abkommen ab

LONDON · In London scheint alles möglich: Am Dienstagabend wollen die Abgeordneten über das EU-Austrittsabkommen und die politische Erklärung abstimmen, auf die sich London und Brüssel geeinigt haben. Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

 Ein Demonstrant protestiert mit einer EU-Fahne und der Nationalflagge des Vereinigten Königreichs vor dem Parlament in London.

Ein Demonstrant protestiert mit einer EU-Fahne und der Nationalflagge des Vereinigten Königreichs vor dem Parlament in London.

Foto: Kirsty Wigglesworth/AP

Noch wird im Parlament und hinter den Kulissen gestritten. Am Dienstagabend wollen die Abgeordneten über das EU-Austrittsabkommen und die politische Erklärung abstimmen, auf die sich London und Brüssel geeinigt haben. Bislang sieht es nicht danach aus, als ob Premierministerin Theresa May eine Mehrheit bekommen würde.

Was passiert, sollte der Brexit-Deal abgelehnt werden?

Als wahrscheinlich gilt, dass die Regierungschefin nach einer moderaten Niederlage versuchen wird, der EU Zugeständnisse abzuringen und später eine zweite Abstimmung anzuberaumen. Auch wenn es in Brüssel stets hieß, man wolle das Paket nicht noch einmal aufschnüren, könnten die Verhandlungspartner kosmetische Änderungen in der politischen Erklärung vornehmen, die jedoch – anders als der Austrittsvertrag – rechtlich nicht bindend ist.

May würde versuchen, Parlamentarier ihrer konservativen Partei sowie Abgeordnete der Opposition zu überzeugen, für den abgewandelten Kompromiss zu stimmen oder sich zu enthalten. Hinzu kommt, dass die Wirtschaftswelt massiven Druck auf die Politik ausüben dürfte, was wiederum Einfluss auf die Rebellen haben könnte. Denn die Zeit wird knapp bis zum 29. März 2019, dem Austrittsdatum. Sollte die Premierministerin beim Wahlgang krachend verlieren, könnte May in arge Schwierigkeiten kommen.

Tritt sie dann zurück?

Die meisten Beobachter schließen einen freiwilligen Rückzug der zähen Premierministerin aus. Die Opposition spekuliert auf Neuwahlen. Die Labour-Partei plant, ein Misstrauensvotum gegen May, sollte der Deal im Unterhaus scheitern. Doch wie Neuwahlen zur Lösung der verzwickten Situation beitragen sollen, bleibt ein Rätsel – außer dass sie die Karrieren einiger Politiker beflügeln könnten. Klar ist: Es wird eng für die Premierministerin. Sie hat auch in den eigenen Reihen mächtige Gegner, die ihrerseits mit einem Misstrauensantrag drohen. Hinzu kommt, dass die Konservative eine Minderheitsregierung anführt unter Duldung der nordirischen Unionistenpartei DUP, die das Abkommen ebenfalls ablehnen will.

Was aber, wenn der Vertrag weder rechtzeitig ratifiziert noch der Austritt verschoben wird?

Dann würde es zu einer ungeregelten Scheidung kommen ohne Übergangsfristen, außerdem zu einer harten Grenze zwischen der Republik Irland und der britischen Provinz Nordirland. Die Folgen eines No-Deal-Szenarios sind nicht abzusehen. Einig sind sich Beobachter, dass ein abrupter Bruch zu Chaos und großer Unsicherheit in der Finanzwelt führen würde. Zudem drohen am Zoll lange Wartezeiten sowie kilometerlange Staus vor dem Fährhafen in Dover. Manche befürchten sogar eine Lebensmittelknappheit. Auch Unruhen an der irischen Grenze werden nicht ausgeschlossen.

Könnte May am Dienstag vielleicht doch noch gewinnen?

In den vergangenen Wochen zog sie über die Insel und gab die Devise aus: „Mein Deal, kein Deal oder kein Brexit.“ So versuchte sie, sowohl die EU-Skeptiker als auch die Europafreunde von ihrem Kompromiss zu überzeugen. Sollte sie damit Erfolg haben, scheidet das Königreich wie geplant aus, und die Übergangsphase beginnt, in der die Briten zunächst im Binnenmarkt sowie in der Zollunion verbleiben. Alle EU-Regeln gelten weiterhin auf der Insel, nur ein Mitspracherecht hat der Drittstaat dann nicht mehr. Einige Brexit-Gegner im Parlament hoffen jedoch, dass es soweit nicht kommt.

Könnte es ein zweites Referendum geben?

Eher nicht. Sowohl die May-Regierung als auch die Opposition unter Labour-Chef Jeremy Corbyn haben stets betont, das Votum vom Juni 2016 respektieren zu wollen. Beide Seiten lehnen es ab, abermals das Volk zu befragen. Die Position von Labour könnte sich aber in naher Zukunft ändern – je nach Stand der Umfragen in der tief gespaltenen Bevölkerung. Einfach würde es ohnehin nicht. Denn erst müsste es zu Neuwahlen kommen und ob der lebenslange EU-Skeptiker Corbyn dann wirklich für eine zweite Volksabstimmung eintritt? Und ob Labour eine Wahl gewinnen würde? Oder doch ein konservativer Brexit-Anhänger wie Ex-Außenminister Boris Johnson? Und welche Alternative würde eine Mehrheit im Parlament erreichen? „Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was passieren wird“, antwortete kürzlich ein BBC-Reporter auf die Frage nach der Zukunft.

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