Prüfung des obersten Gerichtshofs Großbritannien: Brexit vor Gericht

London · Der oberste britische Gerichtshof prüft die Rechte des Parlaments im Zusammenhang mit dem EU-Austritt des Landes. Für das Verfahren könnte das Ergebnis entscheidende Auswirkungen haben.

 Die Brexit-Gegnerin Gina Miller beim Verlassen des obersten Gerichts in London.

Die Brexit-Gegnerin Gina Miller beim Verlassen des obersten Gerichts in London.

Foto: AP

Die Britin Gina Miller hatte es in den vergangenen Wochen alles andere als leicht. Ein Sturm der Entrüstung von Seiten der rechtskonservativen Presse entlud sich auf der politischen Aktivistin. Sie erhielt Morddrohungen und zahlreiche Brexit-Befürworter äußerten offen ihren Hass gegen jene Frau, wegen der sich der Lauf des EU-Austritts Großbritanniens verändern könnte.

Miller und ihr Team brachten Anfang November ihre Klage vor dem Londoner High Court durch, nach dessen Urteil die britische Regierung den Austrittsprozess nicht ohne Zustimmung des Parlaments in Gang setzen kann. Das sorgte für einen Schock in Downing Street. Denn das Urteil könnte den Zeitplan erheblich verzögern.

Nach bisherigem Stand will die konservative Premierministerin Theresa May bis Ende März Artikel 50 des Vertrags von Lissabon auslösen, sodass dann der auf zwei Jahre befristete Austrittsprozess beginnen könnte. Falls das Gericht ihr keinen Strich durch die Rechnung macht.

Die Regierung hat das Urteil angefochten, weshalb sich nun der Oberste Gerichtshof des Königreichs, der Supreme Court, mit dem Fall beschäftigt. Die elf Richter prüfen die Frage, ob May die Zustimmung des Parlaments einholen muss, bevor sie Verhandlungen über die geplante Scheidung von Brüssel aufnehmen darf. Ein Urteil wird im Januar erwartet.

Doch bei der „Brexit-Anhörung“ wird nicht darüber entschieden, ob es zum Austritt kommt oder nicht. Es gehe um Rechtsfragen statt um Gefühle oder Politik, sagte der Gerichtspräsident David Neuberger zum Auftakt. Das zu betonen, hat seinen Grund: Die Stimmung auf der Insel ist emotional aufgeladen, das Königreich in der EU-Frage noch immer tief gespalten. Neuberger kritisierte, dass Beteiligte im Vorfeld Gewaltdrohungen erhalten hätten.

Dabei würden die Richter den Fall unparteiisch prüfen und auf der Grundlage des geltenden Rechts entscheiden. Das Urteil in erster Instanz vom November sorgte vor allem bei Brexit-Befürwortern und bei der rechtskonservativen Presse für Empörung.

Rechtskonservative Boulevardmedien hatten den Klägern vorgeworfen, den Mehrheitswillen der Bevölkerung zu untergraben. So bezeichnete etwa die „Daily Mail“ auf ihrer Titelseite die drei Richter als „Feinde des Volks“, eine andere Zeitung witterte Betrug am Wähler und zweifelte die Unabhängigkeit der Juristen an.

Regierungschefin May beruft sich auf ein jahrhundertealtes Hoheitsrecht der britischen Monarchen, demzufolge die Regierung internationale Abkommen ohne das Einverständnis des Parlaments unterzeichnen und wieder aufkündigen kann. Die Gegenseite argumentiert, die Austrittserklärung könnte fundamentale Konsequenzen, auch für nationales Recht, nach sich ziehen, über die nicht ohne Abstimmung der Abgeordneten entschieden werden dürfe.

Hinzu kommt, dass auch die schottische, proeuropäische Regierung unter Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon ein Mitspracherecht für das Regionalparlament in Edinburgh fordert.

Aus dem Lager der Brexit-Gegner schimmert immer wieder die Hoffnung durch, dass das mehrheitlich EU-freundliche Parlament einen harten Ausstieg aus der Staatengemeinschaft, also eine radikale Abkehr Großbritanniens von Brüssel, verhindern und stattdessen für eine abgemilderte Form der Trennung sorgen könnte.

Theoretisch ist es sogar möglich, dass die Abgeordneten den EU-Austritt des Landes im Falle eines Siegs vor Gericht abwenden. Praktisch jedoch keineswegs. Es gilt in London gemeinhin als Konsens, das Referendumsergebnis zu respektieren und umzusetzen.

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