GA-Interview Botschafter Györkös: "Ungarn ist nicht antieuropäisch"

Bonn · Abschottung gegen Flüchtlinge, Attacken gegen die EU, Rechtstaats-Abbau – das Bild Ungarns in Deutschland ist nicht das beste. Botschafter Peter Györkös erklärt deswegen im GA-Interview die Politik seiner Regierung.

 Botschafter Peter Györkös wirbt für die Politik seiner Regierung.

Botschafter Peter Györkös wirbt für die Politik seiner Regierung.

Foto: Benjamin Westhoff

Herr Botschafter, viele in Deutschland sehen die ungarische Regierung sehr kritisch. Abschottung gegen Flüchtlinge, Attacken gegen die EU, Sorgen um den Rechtsstaat. Was ist da dran?

Györkös: Ich möchte dazu beitragen, dass sich das Ungarn-Bild verbessert. Das ist für mich auch emotional wichtig, weil ich mich seit mehr als drei Jahrzehnten mit Deutschland befasse. Ich war 1989 der letzte DDR-Referent im Außenministerium, mein erster Posten war dann in Bonn, wo auch meine Tochter geboren wurde. 1997 wechselte ich ins EU-Geschäft, und an meinem letzten Tag als Ständiger Vertreter meines Landes in Brüssel gab es diese Mehrheitsentscheidung…

…als die EU-Innenminister im September 2015 gegen die Stimmen von Ungarn und anderer osteuropäischer Länder verbindliche Quoten zur Flüchtlingsverteilung beschlossen…

Györkös: Das war aus meiner Sicht einer der traurigsten Tage der europäischen Integrationsgeschichte. Das war Gift für den Zusammenhalt Europas. Deswegen haben wir vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt. Wir hatten von Anfang an gesagt, dass wir niemals einem automatischen Verteilungssystem zustimmen werden. Übrigens auch im Interesse Deutschlands.

Warum?

Györkös: Weil sowieso alle Flüchtlinge, die verteilt werden, dann innerhalb von zwei Wochen in Deutschland auftauchen. Sie haben ja nicht Tausende Euro an die Schleuser gezahlt, damit sie in Ostungarn oder Bulgarien landen.

Der Europäische Gerichtshof aber hat den Mehrheitsbeschluss von damals für rechtens erklärt. Ihr Ministerpräsident Viktor Orbán erkennt das Urteil nicht an.

Györkös: Das ganze Verfahren ist noch im Gange, da würde ich also noch abwarten. Insbesondere, weil von den 160 000 Flüchtlingen, die verteilt werden sollten, bis zum Ablauf der zweijährigen Periode nur 30 000 verteilt wurden. 20 von 27 Mitgliedstaaten haben den Beschluss nicht umgesetzt. Das ist ein totales Scheitern.

In Ungarn wurde sehr stark Wahlkampf mit antieuropäischen Tönen gemacht. Gleichzeitig bekommt das Land eine Menge Geld von der EU. Ist das kein Widerspruch?

Györkös: Brüssel-kritisch zu sein, also kritisch gegenüber den Institutionen und gewissen Entscheidungen, ist überhaupt keine antieuropäische Haltung. Ungarn ist nicht antieuropäisch, wir wollen Europa stärker machen. Wir kritisieren aber Entscheidungen, die durch institutionelle Wege gegen die fundamentalen Interessen einzelner Mitgliedstaaten getroffen werden.

Zum Beispiel?

Györkös: Nehmen Sie die Einhaltung der eigenen Regeln: Haushalt, Schengen oder Dublin. Unsere Wahrnehmung ist, dass diejenigen, die EU-Recht brechen, belohnt werden. Und dass diejenigen, die EU-Recht umsetzen, attackiert werden.

Das müssen Sie erläutern.

Györkös: Zum Beispiel bei den EU-Haushaltsregeln. Der Stabilitätspakt wird ständig verletzt, aber Sanktionen gab es nur einmal, gegen Ungarn. Übrigens gegen das Land, das als erstes unter den Schutzschirm von Kommission und IWF eilen musste und einige Jahre später seine Schulden bis zum letzten Cent zurückgezahlt hat. Umgekehrt bei der Sicherung der Schengen-Außengrenzen. Orbán hat 2015 gesagt: Ich werde die Schengen-Regeln umsetzen. Dafür brauche ich einen Zaun, weil sich sonst die illegal einströmenden Menschen nicht aufhalten lassen. Orbán hat also die Schengen-Regeln umgesetzt. Aber was hat er dafür gekriegt? Beschimpfungen.

Nun will Orbán aber überhaupt keine Flüchtlinge aufnehmen. Ist das nicht unsolidarisch?

Györkös: Ich kenne den Vorwurf: Wir halten unsere Hände auf, und wo wir geben sollten, halten wir uns raus. Aber das ist falsch. Erstens ist es Pflicht der Mitgliedstaaten, die Außengrenzen zu schützen. Lange Zeit hat das nur Ungarn getan, das hat uns fast eine Milliarde Euro gekostet. So viel zum Thema Solidarität. Zweitens: Politisch Asylsuchende nehmen wir weiterhin auf, sogar mehr als im Ratsbeschluss vorgesehen. 2017 waren es 1291.

Trotzdem: Was haben Sie gegen eine solidarische Verteilung?

Györkös: Eine Verteilung, wie sie die Kommission und auch jetzt die bulgarische Ratspräsidentschaft vorgeschlagen hat, ist der falsche Weg. Jede Diskussion über Verteilung ist eine Einladung. Der Schleuser kann zum Flüchtling sagen: Alles, was Du brauchst, ist die EU zu betreten, dann wirst Du verteilt. Und dann kannst Du weiterreisen nach Deutschland.

Was schlägt Ungarn stattdessen vor?

Györkös: Der Schutz der Außengrenzen muss deutlich verbessert werden. Die Visegrád-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei - d. Red.) haben angeboten, neben dem konsequenten Schutz der eigenen Außengrenzen den Schutz der libyschen Grenze zu finanzieren und Grenzpolizisten zu schicken. Außerdem braucht es mehr Abkommen mit Nachbarländern wie beim EU-Türkei-Pakt. Und wir brauchen humanitäre Hilfe und müssen Fluchtursachen bekämpfen. Übrigens haben wir rund 1000 Soldaten in Krisenregionen im Einsatz. Es gibt so viele Probleme für so viele Menschen in der Welt, man kann das auf europäischem Boden nicht lösen. Man muss so vielen Menschen in Not wie möglich helfen – aber vor Ort.

Ihrer Regierung geht es vor allem auch um kulturelle Identität. Sie haben einmal gesagt, die Ungarn hätten Angst vor Muslimen. Wo ist hier die Gefahr der Überfremdung, bei ein paar Hundert Flüchtlingen?

Györkös: Eine Erklärung liegt in unserer Geschichte. Wir waren 150 Jahre lang mehrheitlich besetzt vom Osmanischen Reich. Zweitens: Was die Ungarn zwischen Mai und November 2015 miterlebt haben, war schockierend. Täglich marschierten 12 000 junge Männer in militärischer Formation auf die Grenze zu. Als Mitte August 2015 die Runde machte, dass Deutschland das Dublin-System für Syrer außer Kraft setzt, fand die serbische Polizei Zehntausende weggeworfene Reisedokumente. Ab diesem Zeitpunkt war fast jeder Syrer.

Selbst wenn das so war, erklärt das noch nicht die Ablehnung von Muslimen. Wovor haben Sie Angst?

Györkös: Wir sehen in Europa keine Beweise, dass die Aufnahme von Muslimen eine Erfolgsgeschichte war. Sogar die Integration dritter Generationen scheint zumindest gewisse Fragezeichen zu stellen. Es geht bei den Ängsten zudem um innere Sicherheit und die Gefahr des Terrorismus.

Ungarn ist uns bisher nicht als Ziel von Terroranschlägen aufgefallen. Ist das eher eine gefühlte Gefahr?

Györkös: Was in Berlin, Paris oder Manchester geschah, ist keine gefühlte Gefahr, sie ist real. Aber zurück zur Integration: Der Islam ist ist bereit, jeden zu integrieren, aber er lässt sich selbst nicht integrieren. Vielleicht liegen wir falsch, aber eines ist sicher: Man kann das Verhalten der Ungarn unterschiedlich bewerten, aber aufzwingen kann man uns nichts. Übrigens, wir respektieren den Islam – aber dort, wo er zu Hause ist.

Es gibt in der EU Regeln und Werte, auch was den Rechtsstaat angeht. Ungarn wird kritisiert wegen eines repressiven Umgangs mit Medien oder Stiftungen.

Györkös: Es gab tiefgreifende Veränderungen im Verfassungssystem nach den Wahlen 2010, und manche Elemente wurden heftig kritisiert. Aber im Laufe von Rechtstaatsverfahren und Dialog mit der EU-Kommission zwischen 2012 und 2014 haben wir alle diese Frage geregelt.

Was ist mit der Pressefreiheit? Es gibt Berichte von schwarzen Listen regierungskritischer Journalisten, unabhängige Zeitungen schließen, die Organisation Reporter ohne Grenzen sieht Ungarn im Pressefreiheits-Ranking nur auf Platz 73.

Györkös: Ich weise es klar zurück, wenn jemand sagt, es gebe keine Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn. Schauen Sie mal bei einem Kiosk vorbei oder gehen auf die Internetseiten. Da gibt es sicher Medien, die näher an der Regierung sind, aber auch welche, die gegen die Regierung sind.

Und Nichtregierungsorganisationen? Die Soros-Stiftung hat aus Angst vor Repressalien das Land verlassen…

Györkös: In der Diskussion landet man immer wieder bei einem gewissen Herrn Soros. Und damit beim Hauptthema Migration. In Soros’ Plan zum Umgang mit der Migrationskrise steht schwarz auf weiß: Das ist mein Plan gegen den Plan von Viktor Orbán. Herr Soros hat den Konflikt also personifiziert. Er und die Organisationen, die er finanziell unterstützt, finden das, was Orbán tut, schlecht und unmenschlich. Die Mehrheit aber, das hat die Wahl gezeigt, sieht das anders.

Die Regierung plant ein Gesetz, das die Arbeit von NGOs einschränken soll…

Györkös: Das stimmt. Ich habe den Text noch nicht gesehen, übrigens Herr Soros auch nicht. Wenn seine Stiftung sagt, sie müsse wegen des Gesetzes nach Berlin umziehen, dann nenne ich das politische Propaganda. Das NGO-Gesetz berührt Organisationen, die im Bereich Migration tätig sind. Es geht um die Förderung und Unterstützung von illegaler Migration. Wenn eine NGO hier Hilfe leistet ohne Zusammenarbeit mit den Behörden, ist das illegal.

Fühlt ihr Land manchmal eine Art moralischen Zeigefinger aus Europa, speziell Deutschland?

Györkös: Absolut. Aber ich verstehe, dass hier in Deutschland die historische Grundlage anders ist. Europa darf aber nie Geisel der geschichtlichen Schwierigkeiten der deutschen Gesellschaft sein. Dass Sie das tragen müssen, dafür habe ich volles Verständnis. Aber dass man davon ableitet, wie sich alle anderen in Europa verhalten müssen, dann ist das nicht unproblematisch.

Wie ließen sich die vielen Differenzen zwischen Ungarn und Deutschland überbrücken?

Györkös: Mein Wunsch ist, dass Deutschland und Europa besser verstehen, warum wir so ticken, wie wir ticken. Es ist auch für die Ungarn wichtig, die Deutschen zu verstehen. Deshalb werde ich jede Einladung zu einem Gespräch immer wahrnehmen.

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