Kommentar zum Brexit-Urteil des Londoner High Court Bloßgestellt

Meinung | Bonn · Als Musterbeispiel direkter Demokratie wurde das Referendum von seinen Anhängern gepriesen. Tatsächlich war es der Versuch einiger Polit-Strategen, auf vermeintlich demokratischem Wege die Demokratie außer Kraft zu setzen.

 Die Regierung sollte nicht nur wirtschaftliche Interessen im Auge haben, sondern auch die bisher EU-weit geltenden Rechte britischer Bürger.

Die Regierung sollte nicht nur wirtschaftliche Interessen im Auge haben, sondern auch die bisher EU-weit geltenden Rechte britischer Bürger.

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Was nun, Frau May? Die britische Premierministerin Theresa May will gegen das Urteil Londoner High Court vorgehen, nachdem ihre Regierung den Austritt des Landes aus der EU nur mit Zustimmung des Parlaments erklären darf. Die von den Richtern bloßgestellte Regierungschefin schickt ihre Bürger und den Rest der EU in die nächste Warteschleife.

Was Theresa May vorhatte und noch vorhat, ist bizarr genug und wäre in keiner anderen modernen Demokratie denkbar: Gestützt auf ebenso ehrwürdige wie unbestimmte Verfassungstradition der „königlichen Prärogative“, nach der zum Beispiel Wilhelm III. von Oranien um 1700 am Parlament vorbei Außenpolitik machen konnte, will die Premierministerin ohne Parlamentsvotum die wohl riskanteste Entscheidung der britischen Nachkriegsgeschichte treffen und den EU-Austritt erklären. May weiß genau, dass das Brexit-Referendum keine rechtlich bindende Wirkung hat. Es war nicht mehr als eine große Meinungsumfrage, deren Teilnehmer von Brexit-Befürwortern wie dem heutigen Außenminister Boris Johnson auch noch kräftig belogen wurden.

Als Musterbeispiel direkter Demokratie wurde das Referendum von seinen Anhängern auch auf dem Kontinent gepriesen. Tatsächlich war es der Versuch einiger Polit-Strategen, auf vermeintlich demokratischem Wege die Demokratie außer Kraft zu setzen. Die Premierministerin betrachtet das knappe Bürger-„Ja“ zum Brexit als Blankoscheck. Die Briten durften ja nur angeben, ob sie einen EU-Austritt wollen – aber in welcher Form er stattfinden soll, das will die Regierung ohne demokratische Kontrolle ausmachen. Das Parlament will sie erst fragen, wenn vollendete Tatsachen geschaffen sind.

Dabei hätte ein „harter Brexit“, mit dem May sympathisiert, bis ins alltägliche Leben jedes Bürgers hinein grundsätzlich andere Auswirkungen als eine Kooperation mit der EU im Stile Norwegens oder der Schweiz. Im Ergebnis bestünde zwischen der EU-Vollmitgliedschaft und einer „norwegischen Lösung“ ein viel geringerer Unterschied als zwischen „weichem“ und „hartem“ Brexit.

Nun ist zu hoffen, dass der Oberste Gerichtshof das Urteil des High Court bestätigt und dass die Mitglieder von Ober- und Unterhaus ihre parlamentarische Pflicht entschlossen wahrnehmen. Auch wenn sie das Referendum akzeptieren, können sie doch Leitplanken setzen, innerhalb derer Mays Kabinett zu agieren hat. Sie sollten dabei nicht nur wirtschaftliche Interessen im Auge haben, sondern auch die bisher EU-weit geltenden Rechte britischer Bürger wie das der Niederlassungsfreiheit, die Folgen für die brüchige englisch-schottische Union und die Bedeutung einer engen Partnerschaft mit der EU für den Frieden in Nordirland. Ohne ein solches Parlamentsmandat ist May als Gesprächspartnerin in der EU nicht mehr ernst zu nehmen.

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