Kommentar zur Ablehnung des Waffenstillstands in Syrien Bankrotterklärung

Meinung · Eine Feuerpause als „populistisch“ abzutun, ist zugleich eine moralische Bankrotterklärung. In diesen Kategorien denken kann nur einer, der sein eigenes Volk (populus) ohnehin als verfügbare Masse ansieht, kommentiert Gregor Mayntz.

 Ein Kind schiebt sein Fahrrad an Gebäuden vorbei, die durch Angriffe der syrischen Luftwaffe zerstört wurden.

Ein Kind schiebt sein Fahrrad an Gebäuden vorbei, die durch Angriffe der syrischen Luftwaffe zerstört wurden.

Foto: dpa

Als „populistisch“ tun Politiker gerne Forderungen ab, die komplizierte Zusammenhänge missachten und zu vereinfachten Scheinlösungen raten. Wenn Russland nun den ersten Versuch, die Eskalation der syrisch-russischen Angriffe auf die Rebellenregion Ost-Ghuta mit einer Feuerpause zu unterbrechen, als „populistisch“ abtut, dann ist das einerseits verräterisch. Dann entlarvt es den dahinter stehenden Plan Moskaus, das Assad-Regime zu immer mehr Bodengewinn zu verhelfen, damit es bei der irgendwann anstehenden Friedenslösung für Syrien umso mehr den Ton angeben kann.

Krieg gegen das eigene Volk wird von Putin belohnt, weil der sich zu Hause auch keine Regimewechsel-Stimmung leisten kann. Jeder Schuss aus russischen Rohren, jede Bombe von russischen Jets ist auch ein Signal an die eigene Opposition. Und es ist ein Signal an den Westen, Russland niemals mehr als zu vernachlässigende Mittelmacht zu übergehen, wie es im Libyen-Konflikt geschah. Jeder Meter mehr Territorium für Assad ist ein Meter mehr Einfluss für Moskau. Deshalb verriet das am Freitag verstärkte Bombardement auf Ost-Ghuta, warum Russland die Waffenstillstandsresolution am Donnerstag verhinderte: Ein politischer Schachzug, um den Militärs mehr Zeit zu geben.

Eine Feuerpause als „populistisch“ abzutun, ist zugleich eine moralische Bankrotterklärung. In diesen Kategorien denken kann nur einer, der sein eigenes Volk (populus) ohnehin als verfügbare Masse ansieht. Dem es völlig gleichgültig ist, ob das verbrecherische Töten von Frauen, Männern und Kindern weitergeht oder gestoppt werden kann. Wenn Russland im eigenen und im Interesse des Assad-Regimes die Liste jener Organisationen erweitern wollte, auf die sie auch während eines Waffenstillstandes keine Rücksicht nehmen müssen, dann zeugt das von dem gnadenlosen Blutvergießen in Syrien, das durch Aufständische, Terroristen, Einflusskämpfe und Stellvertreterkriege in ein kaum noch entwirrbares Chaos geführt hat.

Es ist gut, wenn Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den verbalen Druck auf Russlands Veto-Spieler Putin erhöhen. Es zeugt auch von nötiger Klarheit, wenn Merkel die Geschehnisse in Syrien als „Massaker“ brandmarkt. Aber es reicht nicht. Sie könnte auch die Erwartung äußern, dass es schwer vorstellbar ist, in Russland fröhlich Fußballweltmeisterschaft zu feiern, während Russland in Syrien an Massakern beteiligt ist. Ein Runterdimmen der Gewalt darf keine Absicht für die nächsten Jahre sein. Nach der Ankündigung Israels, iranische Stellungen in Syrien nicht zu dulden, führt jeder Tag der Gewalt die ganze Region näher an einen großen Krieg. Da sollten auch Merkel und Macron mehr Entschlossenheit zeigen. Und mit einem eigenen Konzept den internationalen Totalausfall der Ordnungsmacht USA auffangen.

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