Kritik an Tusk Asylstreit überschattet letzten EU-Gipfel des Jahres

Brüssel/Straßburg · Ein Durchbruch beim Brexit und grünes Licht für die Verteidigungsunion: Alles schien auf gutem Weg vor dem letzten EU-Gipfel in diesem Jahr. Aber tiefe Risse sind nur mühsam zu kitten.

 EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte in einem Papier erklärt, die Pflichtquoten für die Verteilung von Asylbewerbern in der EU hätten sich als wirkungslos erwiesen.

EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte in einem Papier erklärt, die Pflichtquoten für die Verteilung von Asylbewerbern in der EU hätten sich als wirkungslos erwiesen.

Foto: Geert Vanden Wijngaert

Vor dem letzten EU-Gipfel in diesem Jahr ist der Streit über die Asylpolitik in Europa wieder voll entbrannt. EU-Kommission und Europaparlamentarier übten heftige Kritik an Gipfelchef Donald Tusk, der die Pflicht aller EU-Staaten zur Aufnahme von Flüchtlingen infrage gestellt hatte.

Der Zwist trübt die Stimmung vor dem zweitägigen Treffen, bei dem Kanzlerin Angela Merkel und die übrigen Staats- und Regierungschefs eigentlich die Fortschritte bei der Verteidigungsunion und beim Brexit feiern wollen.

Es ist der letzte Gipfel eines Jahres, in dem sich die EU nach den Anfeindungen durch Populisten und dem Rückschlag des Brexit wieder zusammengerauft hat. Eine Debatte über die Zukunft Eurozone am Freitag soll zeigen, dass man gemeinsam Reformen angehen will. Der Start einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit bei Verteidigung und Beschlüsse zur sozialeren Ausrichtung Europas stehen dafür, dass man bei einst sehr umstrittenen Themen zusammenrückt.

Doch zeigt der Streit über die Flüchtlingspolitik, dass tiefe Risse zwischen den 28 Staaten nur schwach gekittet sind. In einer Grundsatzdebatte am Donnerstagabend sollen die Staats- und Regierungschefs einen Ausweg aus der politischen Sackgasse suchen.

Ausgangspunkt ist die Entscheidung auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015, die Ankunftsstaaten Italien und Griechenland zu entlasten und Asylbewerber nach Pflichtquoten auf andere EU-Länder zu verteilen. Osteuropäische Staaten wie Polen, Ungarn und Tschechien verweigern sich bis heute.

Vor diesem Hintergrund schrieb der aus Polen stammende Ratspräsident Tusk in einem Papier für den Gipfel, die Pflichtquoten hätten sich als äußerst spalterisch und zudem wirkungslos erwiesen. Im Übrigen könnten nur die Mitgliedstaaten selbst die Migrationskrise angehen und die EU könne sie bestenfalls dabei unterstützen.

Obwohl Tusk das Papier später abschwächte, bekam er heftigen Gegenwind. Nicht nur die EU-Kommission, sondern auch Deutschland und andere Länder halten eine Umverteilung für unverzichtbar - zumindest in Krisenzeiten wie 2015, als Hunderttausende nach Europa kamen.

Aus der Bundesregierung hieß es, man teile die Auffassung Tusks nicht. "Wir finden, dass das eine gesamteuropäische Aufgabe ist", hieß es aus Regierungskreisen. "Wir brauchen ein System, in dem sich alle wiederfinden." Man sei trotz des Streits zuversichtlich, dass bis Mitte 2018 eine Lösung möglich sei - nötigenfalls mit qualifizierter Mehrheit, also ohne Zustimmung der Umverteilungsgegner.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, äußerte im Europaparlament offene Kritik. "Entweder wir finden eine europäische Lösung für die Herausforderung durch Migration, oder es wird keine Lösung geben", sagte er. "Jeder einzelne Mitgliedstaat muss seinen Teil beitragen."

Der Liberalen-Fraktionschef Guy Verhofstadt sagte: "Ich war total geschockt von Tusks Papier." Dieser untergrabe europäische Politik. Auch Grünen-Fraktionschefin Ska Keller meinte: "Es ist inakzeptabel, dass er Neinsagern wie Polen, Ungarn und Tschechien den Rücken stärkt."

Weitgehend geschlossen zeigt sich die EU bisher in den Verhandlungen über den EU-Austritt Großbritanniens, für die der Gipfel am Freitag die zweite Phase einläuten soll. Grundlage ist ein Durchbruch vergangene Woche. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die britische Premierministerin Theresa May hatten erste Ergebnisse bei wichtigen Trennungsfragen in einem gemeinsamen Papier festgeschrieben.

Nach kritischen Äußerungen aus London mahnte EU-Chefunterhändler Michel Barnier die britische Regierung, diese Ergebnisse nun nicht mehr infrage zu stellen: "Diese Fortschritte sind jetzt registriert", sagte er im Parlament. "Sie müssen dann Niederschlag finden in einem rechtlich verbindlichen Austrittsabkommen."

Zahlreiche EU-Abgeordnete drängten Barnier erneut, vor allem die künftigen Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien und eine offene Grenze in Irland zu wahren. Gleichzeitig würdigten sie den Verhandlungserfolg: "Viele sagen, Europa sei sehr schwach", sagte der Fraktionschef der Sozialdemokraten, Gianni Pittella. "Aber Europa hat sich hier wieder als eine Union erwiesen, die ihre Bürger schützt."

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