Kampf gegen den Islamischen Staat An der Front vor Mossul

Mossul · Die Anti-IS-Koalition hat mit der Offensive auf die Stadt Mossul begonnen, die als Hochburg des Islamischen Staates gilt. Doch der Weg bis zu einer Befreiung wird noch viele Opfer kosten.

 Reise ins Ungewisse: Irakische Familien aus Mossul fliehen vor den Kämpfen zwischen dem Islamischen Staat und der Anti-IS-Koalition.

Reise ins Ungewisse: Irakische Familien aus Mossul fliehen vor den Kämpfen zwischen dem Islamischen Staat und der Anti-IS-Koalition.

Foto: AFP

Es gibt einen guten Grund, warum in Baratalla, dem ersten vom IS zurückeroberten mehrheitlich christlichen Dorf, 13 Kilometer vor Mossul, die eigentlichen Einwohner fehlen und die Straßenzüge leer gefegt sind. Der Bewohner waren schon vor zwei Jahren geflohen, als die Dschihadisten des IS das Dorf eingenommen hatten. Zurückkehren kann im Moment noch keiner von ihnen. Überall lauern noch zurückgelassene Sprengfallen des IS. Unsere Begleiter von der Elite-anti-Terroreinheit der irakischen Armee, die das Dorf am Tag zuvor gestürmt und erobert haben, weisen immer wieder darauf hin, nur auf den vorgegebenen Pfaden zu bleiben, die die Armee bereits geräumt und gesichert hat. Auf keinen Fall solle man in eines der Häuser gehen, warnen sie.

Auf manche Gebäude hat jemand mit Hilfe einer Schablone gepinselt, dass sie „Immobilien des Islamischen Staates“ seien. Auch im Kalifat herrscht bürokratische Ordnung.

Das Innere eines Internet-Cafés ist, wie die meiste Läden im Dorf, vollkommen demoliert. „Vom Islamischen Staat beschlagnahmt“ steht an der Tür. Viele der Läden sind ausgeräumt. Nur beim Schneider hängt noch ein völlig eingestaubtes, eher beigefarbenes als weißes Hochzeitskleid, weil die Braut wohl nicht mehr die Zeit hatte, es abzuholen. Äußerlich sind die meisten Häuser noch intakt. Nur am Rande des Dorfes gibt es deutliche Zeichen von Kämpfen. Einige der dortigen Häuser, ein Lagerhaus und eine Ladenzeile waren zuvor offensichtlich von der Anti-IS-Koalition aus der Luft bombardiert worden. Die eigentliche Eroberung ging dann recht schnell vonstatten, berichtet der irakische Soldat Rasul Ali. Er ist aus seinem gepanzerten Militärjeep gestiegen und deutet seinerseits auf etwas, das er an die Wand gepinselt hat. „Das Mossul-Bataillon war hier“ Und dann hat er noch das Datum daneben geschrieben, an dem er in das Dorf eingerückt ist „21/10/2016“. Es scheint, alle Eroberer des Ortes müssen sich hier zunächst einmal an den Häuserwänden verewigen.

Es gab wenig Widerstand, eher hinterlistige Fallen, beschreibt er seinen Einzug in die Stadt. „Wir waren mit vielen Autos konfrontiert, die mit Sprengstoff voll beladen waren. 21 haben wir entschärft. Wir haben auch viele Sprengfallen gefunden. Einige IS-Leute hatten sich hier verschanzt. Wir haben sie alle getötet“, schildert er.

Symbolisch für die Herrschaft des IS über das vornehmlich christliche Dorf ist die völlig verwüstete Kirche. An manchen Wänden haben IS-Kämpfer auch dort die übliche schwarz-weiß IS-Signatur hinterlassen. Der Altar ist ein Schlachtfeld. Die elektronische Kirchenorgel liegt zerschmettert am Boden. Scherben sind rund um die Kanzel verteilt. Alle, was nicht niet- und nagelfest war, wurde mitgenommen. Wie zum Trotz läuten die Kirchenglocken den Tag eins nach der IS-Herrschaft ein.

Das grüne Haus am Anfang der Straße

Am nächsten Tag, eine gute Autostunde von Baratalla entfernt in der „Umm Al-Nour“ – „ der Mutter des Lichts“– Kirche in der kurdischen Provinzhauptstadt Erbil. Dort zelebriert die Flüchtlingsgemeinde aus Baratalla ihren Sonntagsgottesdienst. Majida Thoma ist eines der Gemeindemitglieder, das heute in der Kirche Gott für die Befreiung ihres Dorfes gepriesen hat. „Ich kann den Glückszustand gar nicht beschreiben, als ich die Nachricht von der Befreiung unseres Dorfes gehört habe, an die ich immer geglaubt habe“, sagt sie nach der Messe. Sie habe sogar im Fernsehen schon ihr Haus gesehen, das nicht beschädigt wurde, erzählt sie. „Es ist das grüne, ganz am Anfang der Straße.“ Auch Vater Saady Jakoub, der Priester der Baratalla-Exil-Gemeinde gibt sich glücklich, auch wenn die Dorfkirche im Inneren völlig zerstört ist. „Unsere Kirche, die ist nicht aus Steinen gebaut“, sagt er und deutet lächelnd auf seine Gemeindemitglieder. „Das ist unsere Kirche und die lebt.“ Auf die Frage nach seinen einstigen Gemeindemitgliedern, die nach Europa geflüchtet und sich dort einen neues Leben aufgebaut haben, antwortetet der Priester, er sei optimistisch, dass viele von ihnen zurückkommen werden. „In unserem Dorf sind schließlich unsere Wurzeln, dort sind unsere Vorfahren begraben“, sagt er.

Szenenwechsel: Ein anderer Ort an der Front, 18 Kilometer nördlich von Mossul, beim Dorf Nawara, dort, wo die kurdischen Peschmerga gegen den IS kämpfen. Dort erwartet uns Halgord Hikmet, der Sprecher der Peschmerga. „Wir greifen derzeit an drei Achsen an, wir kommen stetig vorwärts, aber wegen der Sprengfallen und der Scharfschützen müssen wir sehr vorsichtig vorgehen“, beschreibt er die Lage. Wichtig sei auch die amerikanische Luftunterstützung. Außerdem lobt der Peschmerga-Sprecher die sehr gute Zusammenarbeit mit der irakischen Armee, die weiter östlich und südlich operiert. „Noch nie in der irakischen Geschichte, haben sich Kurden und Araber so gut koordiniert, wie jetzt gegen den IS“, meint er, ganz so als hoffe der auf eine Geburtsstunde des neuen Irak, den Unkenrufen zum Trotz, die immer wieder warnen, dass nach der Eroberung Mossuls sofort wieder die Differenzen zwischen Kurden und Arabern, und Sunniten und Schiiten ausbrechen werden.

Eine ungewisse Zukunft

Immer wieder sind Einschläge zu sehen und zu hören, wenn die Kampfjets der Anti-IS-Front Orte bombardieren, in denen sie IS-Stellungen vermuten. Vielleicht fünf, sechs Kilometer entfernt gehen die Raketen nieder. Die Dörfer direkt vor uns gelten eigentlich als sicher. Trotzdem sollte man hier nur mit einem Militärfahrzeug weiterfahren, das mit einem Chip ausgerüstet ist, den die Kampfjets als „freundliches Fahrzeug“ erkennen. Und selbst das bietet keinen zuverlässigen Schutz. Im Dorf direkt vor uns geht eine Sprengfalle hoch, die der IS hinterlassen hat, nicht weit von einem Haus, auf dem die Peschmerga die kurdische Fahne gehisst haben. Eigentlich war am Tag zuvor ausgemacht, dass wir die kurdischen Kämpfer zu einem anderen eroberten Dorf, nur zwei Kilometer entfernt begleiten können. Aber vor ein paar Stunden hatte sich dort ein in einem Tunnel versteckter IS-Kämpfer vor einer Gruppe von Peschmerga-Soldaten in die Luft gejagt. Sechs von ihnen, fünf Mitglieder einer Familie kamen dabei ums Leben. Die Reise ins „befreite Dorf“ wurde abgesagt. Vielleicht symptomatisch für die unübersichtliche Lage an der Front.

Ein paar Kilometer die Straße in Richtung des friedlicheren Nordens, befindet sich das Nargazliya Aufnahme- und Registrierungslager, für die meist sunnitische Zivilbevölkerung, die in den Dörfern verblieben waren und die jetzt aus den Fängen des IS fliehen konnten. An diesem Tag sind die ersten 80 angekommen, aus dem Dorf Dayraga. Das neue Leben beginnt mit einer ärztlichen Untersuchung. Müde und erschöpft sitzen die Frauen und Kinder auf dem Boden in einem der großen Zelte und warten geduldig auf ihr weiteres Schicksal. Die Männer wurden von ihren Familien getrennt und werden vom Geheimdienst der Peschmerga befragt. Der verbietet uns, mit den Flüchtlingen zu diesem Zeitpunkt Kontakt aufzunehmen.

Man wolle sichergehen, dass sich auf diesem Wege keine IS-Kämpfer einschleichen, begründete das Militär das erste Abschirmen der sunnitischen Flüchtlinge. Mit einem der Männer ergibt sich dennoch ein kurzes Gespräch. „Die IS-Kämpfer haben sich mitten zwischen unsere Häuser gestellt und auf die Peschmerga geschossen. Die Peschmerga haben unser Dorf daraufhin mit Granaten angegriffen. Das war von gestern früh bis heute morgen. Dann schwächte das Ganze ab, weil die IS-Kämpfer nacheinander gefallen sind. Wir sind mit weißen Fahnen aus den Häusern gekommen und die Peschmerga haben uns empfangen“, erzählt Salah Ibrahim. Er und seine Familie konnten nichts hierhin mitnehmen, als die Kleidung, die sie am Körper tragen.

"Wir durften nichts haben"

Das Leben im sogenannten Islamischen Staat sei furchtbar gewesen, sagt Salah Ibrahim. Die Frauen mussten sich vollverschleiern. Die Schule war zu. „Wir haben so vor uns hinvegetiert. Wir durften nichts haben, kein Handy, keinen Fernseher. Es war verboten, sich zu rasieren. Und du wurdest gezwungen in die Moschee zu gehen. Wenn du nicht beten gingst, musstest du umgerechnet 40 Euro zahlen oder du wurdest ausgepeitscht“, sagt er. Dann wird das Gespräch unterbrochen. Ein Peschmerga-Offizier schickt die Journalisten weg. Die Neuankömmlinge sollen noch heute in ein anderes Lager gebracht werden, sagt er noch.

Für den Sunniten Salah und seine Familie beginnt ihr erster Tag außerhalb der IS-Herrschaft. Es ist ein Start in ein neues Leben mit unbestimmter Zukunft in irgendeinem Zeltlager, das die kurdische Regierung und das UN-Flüchtlingswerk in den letzten Wochen aufgebaut hat. Wie lange die Mossul-Offensive andauern wird und wann Salah Ibrahim und seine Familie in ihr Dorf zurückkehren können, das kann derzeit niemand sagen.

Nach dem Leben in der Hölle des IS-Kalifats beginnt für sie nun das Leben in der Ungewissheit.

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