Stimmen nach der Wahl „Wir sind Frankreich“

Paris · Nach der Wahl von Emmanuel Macron zum neuen französischen Präsident versinkt der Platz vor dem Louvre im Jubelrausch. Die Party der Front National fällt aus.

Im Sprechchor zählen sie die letzten Sekunden bis 20 Uhr noch gemeinsam herunter, dann bricht der Jubel unter den Tausenden Fans von Emmanuel Macron aus, die sich vor dem Louvre versammelt haben. „Wir haben gewonnen“, singen sie.

Einige liegen sich in den Armen, andere starren mit Tränen in den Augen auf die riesigen Bildschirme neben der Bühne, wo die Hochrechnungen erscheinen: Macron liegt demnach klar vor der Rechtspopulistin Marine Le Pen vom Front National. Das noch vor kurzem Unvorstellbare ist Wirklichkeit geworden: Ihr Kandidat, der erst vor gut einem Jahr die Bewegung „En Marche!“ gegründet hat, ist der neue Staatspräsident Frankreichs.

Anhänger in T-Shirts mit dem Aufdruck „Macron Président“ schwenken französische Flaggen und wundern sich über die geringe Zahl von EU-Fahnen – ausgerechnet beim pro-europäischsten aller Kandidaten. Eine Mitarbeiterin von Macrons Team liefert hinter den Kulissen im Pressezelt die simple wie auch überraschende Antwort: sie waren ausverkauft und so kurzfristig nicht mehr zu organisieren.

"Die Gesellschaft, die wir verteidigen müssen"

Der Partystimmung schadet dies keineswegs, ein DJ heizt mit Pophits die tanzende Menge ein, die auf den großen Sieger wartet. „Wir haben heute gezeigt, dass nicht Marine Le Pen das französische Volk repräsentiert, sondern wir Frankreich sind“, sagt der Franzose Bastian und zeigt in die Menge. „Christen, Muslime, Juden, Einwanderer, Franzosen, EU-Bürger – das ist die Gesellschaft, die wir verteidigen müssen.“

Noch bevor die letzten Wahllokale um 20 Uhr schlossen, waren Tausende Journalisten aus Frankreich und aller Welt zum Platz vor dem Louvre gedrängt. Vor dem Eingang bildeten sich am Nachmittag schon meterlange Schlangen, aufgrund der massiven Sicherheitsvorkehrungen kamen die Reporter nur schrittweise voran.

Etliche Touristen beobachteten das Spektakel mit Handykameras in der Hand und einem Schmunzeln im Gesicht. „Ich finde es aufregend, dass wir ausgerechnet jetzt in Paris sind, wo so eine historische Wahl stattfindet“, meinte eine spanische Besucherin. Nur ein bisschen mulmig sei ihr angesichts der Kulisse. Tatsächlich waren den ganzen Tag über Hunderte schwer bewaffnete Polizisten in der Gegend postiert.

Die Wahl des Louvre war eine strategisch geschickte – das Symbol der Kultur und Geschichte Frankreichs befindet sich im Herzen der französischen Hauptstadt, während die Anhänger des Konservativen Nicolas Sarkozy bei dessen Sieg vor zehn Jahren auf dem Platz der Concorde in einem schicken Viertel im Pariser Westen feierten und jene von François Hollande vor fünf Jahren auf dem Bastille-Platz im Stadtosten.

Die kritische Presse ist ausgesperrt

Derweil herrschte eisige Stille bei der Feier des Front National nahe des Bois de Vincennes im Südosten von Paris. Fast die Hälfte der 1000 Gäste bestand aus Medienvertretern. Der kritischen Presse wie dem Satiremagazin „Charlie Hebdo“ oder der investigativen Internetzeitung „Mediapart“ war mit Begründung des Platzmangels der Zugang versagt worden. Marine Le Pen wirkte kühl und ernst, ihre Ansprache fiel ebenso kurz aus wie der Glückwunsch an ihren Rivalen.

Weil ihr die Zukunft des Landes wichtig sei, wünsche sie Macron zwar Erfolg. Aber zugleich versprach sie eine „tiefe Transformation“ der Partei und zeigte Kampfgeist: „Durch dieses historische und massive Ergebnis haben die Franzosen aus der Allianz der Patrioten die erste Oppositionskraft gegen das Projekt von Herrn Macron gemacht.“

Vielsagend erscheint auch die hohe Zahl der ungültigen Wahlzettel („Vote blanc“) von knapp neun Prozent sowie der Stimmenthaltung von mehr als 25 Prozent. Seit 1969 beteiligten sich nicht mehr so wenige Franzosen an einer Präsidentschaftswahl. Vor allem enttäuschte Anhänger des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon blieben wohl den Urnen fern. Anders als die meisten anderen Kandidaten hatte Mélenchon darauf verzichtet, für die Wahl Macrons aufzurufen, um ein hohes Ergebnis für den Front National zu verhindern.

Und doch betonten etliche Wähler Macrons gestern, für sie sei im Vordergrund gestanden, Le Pen zu verhindern. „Ich habe mich nicht für ihn entschieden, sondern gegen sie“, erklärte die 24-jährige Margaux aus Lyon. „Macron wird kein idealer Präsident sein. Aber einen idealen Präsidenten gibt es wohl auch gar nicht.“

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