Die Türkei und Europa „Wir gehen unseren Weg und ihr geht euren“

Istanbul · Nach der Ablösung von Ministerpräsident Davutoglu kündigt der türkische Präsident Erdogan eine härtere Gangart gegenüber der EU an. Der von Davutoglu ausgehandelte Flüchtlingspakt steht damit auf der Kippe.

 Der bisherige türkische Ministerpräsidente Ahmet Davutoglu hat seinen Rücktritt verkündet.

Der bisherige türkische Ministerpräsidente Ahmet Davutoglu hat seinen Rücktritt verkündet.

Foto: dpa

Nur einen Tag nach der Rücktrittsankündigung des bisherigen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu hat Präsident Recep Tayyip Erdogan eine härtere Gangart gegenüber der EU angekündigt. Die Türkei werde ihre Antiterrorgesetze nicht wie von der EU gewünscht ändern, sagte Erdogan am Freitag. „Wir gehen unseren Weg, und ihr geht euren.“ Mit Blick auf den von Davutoglu ausgehandelten Flüchtlingsdeal mit der EU fügte Erdogan hinzu, die EU solle sich einigen, mit wem sie wolle. Damit ist unsicher geworden, ob das Abkommen Bestand haben wird.

Die Änderung der türkischen Antiterrorgesetze ist eine von 72 Bedingungen der EU für die zugesagte Aufhebung des Visazwangs für Türken im Juni. Vor einigen Tagen hatte die EU-Kommission die Regierung in Ankara aufgerufen, in diesem und in einigen anderen Bereichen noch nachzubessern, wenn die Visaschranken fristgerecht fallen sollen. Die Reisefreiheit ist eine der Gegenleistungen der EU für die türkische Kooperation bei der Eindämmung des Flüchtlingsstroms nach Europa. Die Regierung in Ankara droht mit einer Aufkündigung des Flüchtlingsdeals, falls die EU beim Thema Visa zaudern sollte.

Unter den türkischen Antiterrorparagraphen waren in den vergangenen Monaten unter anderem Akademiker angeklagt worden, weil sie mit einem regierungskritischen Aufruf zur Kurdenfrage die Propaganda der kurdischen Rebellengruppe PKK verbreitet haben sollen. Die Türkei-Beauftragte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Emma Sinclair-Webb, warf Ankara vor, nur deshalb an den Antiterrorgesetzen festhalten zu wollen, weil sonst Tausende von Strafprozessen gegen friedliche Regierungskritiker eingestellt werden müssten.

Mit seiner schroffen Absage an die EU-Anforderungen nährte Erdogan die Befürchtung, dass sich die Türkei nach dem Ausscheiden von Davutoglu verstärkt von Europa abwenden und möglicherweise auch das Flüchtlingsabkommen aufkündigen werde. Während Davutoglu in den vergangenen Monaten eng mit EU-Spitzenpolitikern wie Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammenarbeitete, um das Abkommen zu schmieden, meldete sich Erdogan mehrmals mit Kritik an der EU zu Wort. Er bemängelte vor allem das Ausbleiben der von Brüssel zugesagten Hilfsgelder zur Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei. Davutoglu, der auch nach seiner Rücktrittsankündigung vom Donnerstag bis auf Weiteres noch im Amt ist, äußerte sich zunächst nicht zu Erdogans Kritik an der EU. Allerdings gab es Anzeichen für wachsenden Unmut in den Reihen der Regierungspartei AKP über die De-facto-Ablösung Davutoglus .

Ahmet Tasgetiren, Chefkolumnist der regierungstreuen Tageszeitung „Star“, berichtete am Freitag von Verwirrung und Enttäuschung an der Parteibasis. Erdogan hatte Davutoglu zum Rückzug gezwungen, weil er beim Premier die unbedingte Loyalität vermisste. Nun macht sich Erdogan Gedanken über die anstehende Wahl eines neuen Vorsitzenden und Ministerpräsidenten. Jedem in der Türkei ist klar, dass der nächste Mann an der Spitze von Partei und Regierung zu hundert Prozent von Erdogan abhängen wird und keine eigenen politischen Ambitionen haben darf. In der Presse werden Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak sowie Justizminister Bekir Bozdag und Verkehrsminister Binali Yildirim als aussichtsreichste Kandidaten genannt.

Nicht alle in der AKP sind offenbar bereit, Erdogans Wahl kommentarlos hinzunehmen. Am Freitag kursierten – unbestätigte – Berichte über Pläne einer Gruppe von AKP-Dissidenten, mit einem eigenen Kandidaten zum Sonderparteitag der Regierungspartei am 22. Mai zu gehen, bei dem Davutoglus Nachfolger als Partei- und Regierungschef gewählt werden soll.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Zum Thema
Aus dem Ressort