Terror „Der IS ist die Modeerscheinung des Jahres“

Dhaka · 15 Jahre nach dem Angriff auf das World Trade Center zittert nicht nur das überwiegend muslimische Bangladesch vor den Erben von Osama Bin Laden.

 Menschen legen für die Opfer des islamistischen Terroranschlags vom 1. Juli in Dhaka Blumen nieder.

Menschen legen für die Opfer des islamistischen Terroranschlags vom 1. Juli in Dhaka Blumen nieder.

Foto: picture alliance / dpa

Die Wände voller Kugeleinschläge in der Fassade des Holey Bakery Restaurant im Nobelviertel Gulshan von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka erscheinen gerade ein paar Tage alt. Die Spuren der Panzerfahrzeuge im Boden, mit deren Hilfe die Sicherheitskräfte Anfang Juli das blutige Massaker hinter den Mauern des Gebäudes beendeten, verblassen dank der schweren Regenfälle des Monsuns. Ein paar Hundert Meter wirkt das Nobelrestaurant Bellagios mit seinen kahlen Wänden und dank herausgerissener Einrichtung wie von einer Bombe getroffen. Der Eigentümer schloss die Tore für immer, nachdem sechs junge Islamisten am 1. Juli 20 Menschen – die meisten Italiener und Japaner – mit ihren Macheten in der Holey Bakery abschlachteten.

Bangladesch tanzt auf einem Vulkan der Terrorgewalt, auch wenn Dhakas Straßenverkehr wie eh und je an chronischer, aber normaler Verstopfung leidet. 15 Jahre, nachdem Al Kaida sich mit den Terrorattacken in den USA in das Bewusstsein der Welt bombte, zittert das überwiegend muslimische Land vor den Erben von Osama Bin Laden.

Verkaufsverhandlungen für Bangladeschs weiter boomende Textilindustrie finden längst nicht mehr in Dhaka statt. Man trifft sich lieber in Singapur oder Hongkong. „Ich fürchte, der Anschlag auf die Holey Bakery war nicht die letzte Terrorattacke“, sagt ein Diplomat in Dhaka.

Rund 4,5 Millionen junge Bangladeschis besuchen Koranschulen. Bei den Behörden des Landes sind nur die Hälfte der Madrassas registriert. „Niemand weiß, was bei den anderen passiert“, sagt ein Beobachter. Sicher scheint freilich: Die heute weitgehend bedeutungslose Terrorgruppe Al Kaida rangelt dort nicht nur mit dem Islamischen Staat (IS) um Rekruten. Für den IS stellt Bangladesch laut Bekunden der Terrororganisation dank seiner nahezu 100-prozentigen islamischen Bevölkerung das Einfallstor in Südasien dar – mit dem Fernziel der Destabilisierung von Indien und des benachbarten Myanmar. Weltweit ging seit dem Jahr 2012 die Zahl der Terrortodesopfer laut Statistiken der Global Terrorism Database in den USA zurück, auch wenn es in Europa gerade nicht den Anschein hat. Im Jahr 2015 gab es weltweit sogar weniger Anschläge als im Vorjahr. Selbst in Pakistan drängten die Militärs die einheimischen Taliban-Milizen und ihre internationalen Verbündeten zurück. In Afghanistan bekriegen sich Regierung und Talibanmilizen und beide bekämpfen die winzigen Anfänge des IS.

Der Terrorismus steckt in einer Krise. Gleichzeitig warnen Experten vor Entspannung. „Der IS ist die Modeerscheinung des Jahres“, beschreibt in Jakarta der Islamismusexperte Sydney Jones den Trend unter jungen Gotteskriegern. Auf Mindanao im Süden der Philippinen streiten die Gangstertruppe Abu Sayyaf mit anderen Splittergruppen seit Monaten um die zweifelhafte Ehre, mit dem IS in Verbindung zu stehen. Malaysia verhaftete rund 100 Bürger und musste zugeben, dass geplante Anschläge im Auftrag des IS in der Hauptstadt Kuala Lumpur nur in letzter Minute verhindert werden können.

In Indonesien scheint die Umgebung der Stadt Solo, aus der bereits Schlüsselfiguren des Al-Kaida-Verbündeten Jemaah Islamiyah stammten, zur neuesten IS-Bastion in dem Land mit den meisten muslimischen Einwohnern der Welt zu werden. Nach Hinweisen aus Singapur hob Jakarta kürzlich gar eine Terrorzelle aus, die von der Insel Batham aus mit Raketen Marina Bay, den gegenwärtigen Stolz des Finanzzentrums samt Spielkasino und Aussichtsplattform, beschießen wollten.

„Wir glauben schon lange, dass Singapur ein attraktives Ziel für Terroranschläge war“, sagt ein hoher Regierungsbeamter, „wir wollen im Augenblick die Bevölkerung wachrütteln und Bewusstsein für die Gefahr schärfen.“ Singapur thematisiert angesichts solcher Terrorfurcht in diesen Tagen sogar das Tabu-Thema der ethnischen und religiösen Zusammensetzung. Bislang galt das Bild des Mosaiks als treffendste Beschreibung für das miteinander der sechs Millionen Buddhisten, Taoisten, Muslime, Christen und Hindus. Seit Neuestem diskutiert die Regierung über stärkere Integrierung.

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