Interview zu Kosten des Brexit „Das wirkliche Kapital der EU liegt in der Zusammenarbeit“

Großbritannien erwartet nach dem Brexit eine gesalzene Rechnung der EU. Was auf das Königreich zukommt, hat Inge Gräßle, CDU-Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, Markus Grabitz erklärt.

 Inge Gräßle (CDU), Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses.

Inge Gräßle (CDU), Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses.

Foto: picture alliance / dpa

Bald beginnen die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU. Welches Signal erwarten Sie von der Gegenseite zum Start der Scheidungsverhandlungen?

Inge Gräßle: Nun, es ist ja nicht so, dass man aus der EU austreten kann wie aus einem Golfclub, indem man die Mitgliedschaft aufkündigt, und dann ist man raus. Ich verlange, dass London sich zu Beginn der Brexit-Verhandlungen dazu bekennt, dass es finanzielle Verpflichtungen über das Scheidungsdatum hinaus zu erfüllen gilt. Die Summen, um die es geht, wird Großbritannien nicht auf einen Schlag aufbringen wollen und können. Ich erwarte aber, dass London deutlich macht, dass am Ende der Verhandlungen ein Zahlungsplan für die Unterhaltsverpflichtungen des Vereinigten Königreiches steht.

Über welche Summen reden wir?

Gräßle: Es gibt auf der einen Seite Zahlungsverpflichtungen, die die Briten für die Zukunft eingegangen sind und die sie einlösen müssen. Und es gibt auf der anderen Seite die Anteile am Vermögen der EU, also am Tafelsilber, die den Briten zustehen. Beide Posten werden miteinander verrechnet, am Ende kommt man auf mindestens 57 Milliarden Euro, die London Brüssel schuldig sein wird.

Wie hoch sind die Zahlungsverpflichtungen, und wie setzen sie sich zusammen?

Gräßle: Für die EU-Programme sind aus der Vergangenheit und für die Zukunft noch eine halbe Billion Euro bis 2023 abzufinanzieren. Die Briten haben sich mit dem Rest der EU einstimmig darauf verständigt. Außerdem gibt es langlaufende Verpflichtungen auf 30 Jahre, etwa für Pensionen. Da kommen knapp 64 Milliarden Euro zusätzlich auf die Rechnung. Ich erwarte, dass London nicht nur die Lasten für die vier Prozent britischen Pensionäre übernimmt, sondern seinen prozentualen Anteil von 12,5 Prozent an allen bislang aufgelaufenen Pensionsverpflichtungen.

Und wie hoch ist das Vermögen der EU, und welchen Anteil darf Großbritannien daran geltend machen?

Gräßle: An Vermögen hat die EU erschreckend wenig. Die Immobilien mit Grund und Boden der Institutionen in Brüssel, Straßburg, Luxemburg sowie die diplomatischen Vertretungen sind etwa 2,15 Milliarden Euro wert. Hinzu kommen Sachwerte in Höhe von 6,55 Milliarden Euro in Form von Computern, Fahrzeugen oder – Stand bei der letzten Zählung – 47 000 Weinflaschen. Der britische Anteil an diesem Vermögen liegt bei weniger als einer Milliarde – das wirkliche Kapital der EU liegt doch in der Zusammenarbeit und den gemeinsamen Politiken!

Es gibt zwei EU-Agenturen, die ihren Sitz in London haben. Müssen sie die Insel verlassen, und muss London die Umzugskosten bezahlen?

Gräßle: Die Umzugskosten der beiden Agenturen sind noch das kleinste Problem. Sie suchen gerade eine neue Bleibe, Hunderte von Mitarbeitern mit ihren Familien müssen umziehen, britische Mitarbeiter verlieren ihren Job. Es wäre anständig, wenn UK sich am materiellen Schaden mit 12,5 Prozent beteiligen würde. Das ist Verhandlungssache. Größere Sorgen macht mir, dass etwa für die Europäische Arzneimittelagentur eine sehr kenntnisreiche nationale Zulassungsbehörde als Partner gebraucht wird. Da sehe ich im Moment keine.

Großbritannien ist am Kapital der Europäischen Investitionsbank (EIB) mit 16 Prozent beteiligt. Hat London Anspruch darauf, das Geld zurückzubekommen?

Gräßle: Wer die EU verlässt, muss eigentlich raus aus der EIB. Geschrieben ist aber nichts. Alles also Verhandlungssache. Wenn die Briten raus wollen, nehmen sie auch ihre 39,1 Milliarden Gründungskapital mit, selbstredend werden vorher Verpflichtungen abgezogen. Diese Rechnung interessiert mich auch, weil die EIB immer sagt, sie sei so toll. Wer weiß, vielleicht bleibt die EIB der Anker des vom Kontinent abdriftenden Schiffs UK.

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