Erdogan droht der EU „Dann werden die Grenzen geöffnet“

BERLIN · Der türkische Staatspräsident Erdogan droht der EU offen damit, Flüchtlinge nach Europa durchzuwinken. Die Bundesregierung ruft zur Mäßigung auf.

Die Tonlage zwischen Europa und der Türkei verschärft sich weiter, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan drohte, Flüchtlinge nach Europa durchzuwinken, und erinnerte daran, dass sein Land derzeit „drei bis dreieinhalb Millionen Flüchtlinge“ versorge. Anlass seines abermals aufflammenden Zorns ist eine Resolution des EU-Parlaments, in der das Einfrieren der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gefordert wird.

Bisher hatten allerdings alle türkischen Muskelspiele der vergangenen Monate keine praktischen Konsequenzen auf den Flüchtlingspakt, der in diesem Jahr maßgeblich dazu beitrug, die Flüchtlingsbewegung einzudämmen. Noch halte sich die Türkei an ihren Teil der Abmachung, heißt es in deutschen Regierungskreisen. Aber Erdogan sagte nun, dass dies nicht so bleiben müsse. In einer Rede drohte er in Istanbul damit, Flüchtlinge bald wieder unkontrolliert nach Europa reisen zu lassen. „Wenn Sie noch weiter gehen, werden die Grenzen geöffnet, merken Sie sich das“, sagte er Richtung Europa.

Der Präsident wirft der EU seit Monaten vor, Versprechen zu brechen. So seien Ankara Visaerleichterungen zugesagt worden, die längst hätten in Kraft treten müssen. Die EU und auch die Bundesregierung bestehen allerdings bisher darauf, dass zuvor 72 Voraussetzungen erfüllt werden. Vor allem die Anti-Terror-Gesetze, die von der türkischen Justiz auch dazu genutzt werden, gegen die Opposition und unliebsame Journalisten vorzugehen, stünden Visaerleichterungen entgegen. Michael Roth, Staatsminister im Auswärtigen Amt, stellte wegen der Verhaftungswelle in der Türkei deshalb Anfang November den betroffenen Oppositionellen und Journalisten sogar Asyl in Deutschland in Aussicht, was wiederum Erdogan dazu bewog, Deutschland die Unterstützung von Terroristen vorzuwerfen.

Die Bundesregierung ruft allseits zur Mäßigung auf – was auch als vorsichtige Distanzierung von der EU-Parlamentsresolution verstanden werden kann, die für die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten ohnehin nicht bindend ist. „Drohungen auf beiden Seiten helfen da jetzt nicht weiter“, sagte eine Regierungssprecherin. Zugleich betonte sie, wie wichtig es sei, trotz aller Streitpunkte weiter im Gespräch zu bleiben.

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes ging noch weiter. Sie sagte: „Das Europäische Parlament ist eigenständig und kann natürlich diese Entscheidung souverän für sich treffen. Unser Ansatz ist nur, dass wir in den Phasen, in denen es besonders kritisch ist, das Gespräch miteinander suchen und nicht Gespräche boykottieren oder Gespräche abbrechen.“ Deutschland habe ein „großes Interesse“ an einem „europäischen Weg“ der Türkei. Es liege aber an Ankara, darüber zu entscheiden, ob dieser Weg fortgesetzt werde.

Die EU-Kommission, die dem Votum des Parlaments nicht folgen muss, reagierte betont gelassen auf Erdogans Drohungen. Man wolle jetzt nicht über mögliche Folgen einer Grenzöffnung durch die Türkei spekulieren. „Wir arbeiten für den Erfolg des Abkommens zwischen der EU und der Türkei“, kommentierte ein Sprecher am Freitag in Brüssel. Zu „hypothetischen Szenarien“ äußere man sich nicht. EU-Kommissar Günther Oettinger sieht gar keinen Grund dafür, dass Erdogan sich derart echauffiert. Er halte „die politische Forderung des Parlaments für nachvollziehbar“, sagte Oettinger dieser Zeitung. Aber „die Beitrittsgespräche einzufrieren heißt ja nicht, sie zu beenden.“

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