Nato-Gipfel in Warschau Zwischen Reden und Rüsten

Warschau · Die Nato steigt mit Aufklärungsflugzeugen stärker in den Kampf gegen die Dschihadistenmiliz IS ein. Die Ausbildung afghanischer Soldaten läuft weiter - für einen kompletten Rückzug aus dem Land am Hindukusch ist es Ansicht der Allianz zu früh.

 Solidarisch: Kanzlerin Angela Merkel, Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaité und Außenminister Frank-Walter Steinmeier beraten sich am Rande der Nato-Ukraine-Gespräche.

Solidarisch: Kanzlerin Angela Merkel, Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaité und Außenminister Frank-Walter Steinmeier beraten sich am Rande der Nato-Ukraine-Gespräche.

Foto: dpa

. Die Mission geht weiter. Für Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah ist es ein schöner Moment, gerade Gast einer mächtigen Gemeinschaft zu sein, deren beste Dienstleistung im eigenen Land stark gefragt ist: die Produktion von Sicherheit. Der afghanische Präsident Ghani und sein langjähriger Rivale Abdullah, inzwischen als Chief Executive eine Art Vorsitzender des Ministerrates in Kabul, posieren neben US-Präsident Barack Obama.

Gerade hat die Nato bei ihrem Gipfel in Warschau beschlossen, dass sie auch im kommenden Jahr mit insgesamt 12 000 Soldaten in Afghanistan vertreten bleibt, davon rund 8400 US-Truppen.

Eigentlich wollte die Nato-Führungsmacht USA ihr Kontingent am Hindukusch erheblich reduzieren – und in der Folge auch ihre europäischen Partner, darunter Deutschland. Aber nach der vorübergehenden Einnahme der Provinzhauptstadt Kundus im Norden Afghanistans ist bei der Nato die Erkenntnis gereift, dass es wohl zu früh für einen Rückzug ist, nachdem das Bündnis Ende 2014 bereits seine Kampftruppen vom Hindukusch abgezogen hatte.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg lässt an der Lage keine Zweifel. Zwar mache Afghanistan „Fortschritte“. Die berechtigte Frage: wo? Im Kampf gegen die grassierende Korruption, bei der Einhaltung der Menschenrechte inklusive der Rechte von Frauen sowie beim Abhalten vergleichsweise freier Wahlen. Aber das von mehr als 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg gezeichnete Land brauche weiter Unterstützung – auch militärisch.

Stoltenberg verhehlt nicht, dass sich einige lokale Talibangruppen inzwischen zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ bekannt hätten. Afghanistan dürfe „niemals wieder ein Zufluchtsort für Terroristen werden, die unsere Sicherheit bedrohen“, heißt es in der Gipfelerklärung zu Afghanistan.

Die Lage am Hindukusch sei schwierig. „Das ist keine leichte Aufgabe. Afghanistan hat ungelöste Probleme“, sagt der Norweger Stoltenberg. Die Nato will nun in Afghanistan bleiben, wobei der Generalsekretär aktuell nicht darüber spekulieren will, wie viele Jahre über 2017 hinaus die Allianz noch mit Truppen in Afghanistan stehen werde.

Neben den USA würden vor allem Italien, Deutschland und die Türkei weiter Kontingente stellen, wie Stoltenberg hervorhebt. „Kein Kampfeinsatz“, das nicht, aber doch für eine „längere Zeit“ eine Trainings- und Beratungsmission für die afghanischen Streitkräfte. „Afghanistan steht nicht allein“, sagt Stoltenberg und wiederholt damit ein Bekenntnis, das die Nato auf beinahe jedem ihrer Gipfel der vergangenen Jahre abgegeben hat.

Doch die Krisen auf dem Globus werden nicht weniger. So macht Bundeskanzlerin Angela Merkel deutlich, dass die Nato im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat vom Boden des Nato-Mitglieds Türkei Awacs-Aufklärungsflugzeuge in den Einsatz nach Irak und Syrien schicken werde. Außerdem will die Nato zum Training im Kampf gegen den IS in den Irak zurückkehren.

Merkel trifft am Rande des Gipfels auch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, um „Lösungen“ zu finden, wie sie vage auf eine Frage sagt, ob sie denn auch über das türkische Verbot für eine deutsche Delegation zum Besuch der Bundeswehr auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik gesprochen hätten. Doch der Konflikt bleibt ungelöst. Wichtig sei, dass man miteinander gesprochen habe, tröstet sich Merkel. Das ist wenig genug.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wiederum sieht von diesem Gipfel Signal ausgehen – „nach innen wie nach außen, nach Osten wie nach Westen“. Der deutsche Chef-Diplomat plädiert auch in Warschau – etwaiges Säbelrasseln hin oder her – für einen „dauerhaften und ernsthaften Dialog mit Russland“. Diese Woche tagt wieder der Nato-Russland-Rat. Die Krise in der Ukraine derweil schwelt weiter. Merkel betont: „Es gibt nach wie vor keinen Waffenstillstand, was die Voraussetzung für Wahlen ist.“

Ukraines Präsident Petro Poroschenko sagt nach der Sitzung der Nato-Ukraine-Kommission, er habe eine „einzigartige Atmosphäre der vollen Solidarität“ mit seinem Land erlebt. Die Nato habe die illegale Annexion der Krim wie auch die Aggression Russlands in der Ostukraine einstimmig verurteilt, so betonen es Stoltenberg und Poroschenko im Gleichschritt. Poroschenko appelliert an Moskau, das Friedensabkommen von Minsk vollständig zu erfüllen. Endlich. Und zur eigenen Ambition, die Nato ins Bündnis zu führen, sagt er: „Die Tür ist offen für jedes Land.“ Sicherheitshalber ergänzt Stoltenberg, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht auf der Agenda stehe. Stoltenberg sieht das Bündnis vor großen Aufgaben – und mit den Beschlüssen von Warschau dafür gewappnet: „Man die Zukunft nicht vorhersagen. Aber es ist wichtig, auf das Unvorhersehbare vorbereitet zu sein.“

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