Das Leben als Soldat Zwischen Dienst- und Vaterpflichten

BONN · Die Truppe ringt um Nachwuchs. Dafür nimmt sie dem Soldatenberuf die Härten. Ein Balanceakt

 Familie in Neuwied, Job in Ostdeutschland: Für Oliver Schulz wäre dieser Spagat beinahe Wirklichkeit geworden. Häufige Personalrotation bei der Truppe ist K.o-Kriterium für Bewerber.

Familie in Neuwied, Job in Ostdeutschland: Für Oliver Schulz wäre dieser Spagat beinahe Wirklichkeit geworden. Häufige Personalrotation bei der Truppe ist K.o-Kriterium für Bewerber.

Foto: Frank Homann

"Meine Dienststelle in Koblenz wurde aufgelöst", erinnert er sich, "ich sollte nach Strausberg versetzt werden." Schulz hatte gerade sein Häuschen renoviert, seine Frau war mit zwei kleinen Kindern in Elternzeit. Strausberg, das muss man dazu wissen, liegt an der polnischen Grenze, rund 700 Kilometer vom Zuhause der Schulzes in Neuwied entfernt. Was nun? Pendeln? Haus wieder verkaufen? Umziehen? Ein Jahr lang dreht die Familie sich gedanklich im Kreis.

Doch die Geschichte hat ein Happy End, ansonsten würde Schulz an diesem Mittwochnachmittag nicht am Esstisch seine Geschichte erzählen können. Es wäre eine andere Geschichte geworden: Eine, in der Frau Susanne unter der Woche alleinerziehend ist, vielleicht ihren Job hätte aufgeben müssen, um den abwesenden Vater zu kompensieren, eine Geschichte, in der Schulz ziemlich frustriert und vermutlich ziemlich allein im Osten der Republik Dienst geschoben hätte. Dass es anders kam, ist dem neuen Selbstverständnis der Bundeswehr geschuldet. Die Truppe bekommt den demografischen Wandel und den Wegfall der Wehrpflicht zu spüren: Guter Nachwuchs wird knapp. Sie konkurriert mit großen Konzernen um kluge Köpfe - und kluge Köpfe sind längst nicht mehr bereit, das Familienleben dem Dienstherrn zu opfern. Daher hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die "Operation Umdenken" eingeleitet: Eine millionenschwere Attraktivitätsoffensive soll die Bundeswehr an die Bedürfnisse moderner Arbeitnehmer anpassen. Das beginnt mit Flachbildschirmen in Kasernen und endet bei einer besseren Work-Life-Balance. Und so kam es, dass Soldat und Familienvater Oliver Schulz sich erfolgreich gegen seine Versetzung wehren durfte - statt 700 Kilometer nach Strausberg pendelt er heute nur 60 Kilometer nach Bonn.

Überhaupt geht so einiges, was früher bei der Bundeswehr als Luxus für Weicheier verspottet worden wäre: Home Office, Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten, generell längere Stehzeiten auf heimatnahen Dienstposten. "Es ist gut, dass das Thema angefasst wird", sagt Schulz. Ihm geht die Offensive nur nicht weit genug. "Es wird viel dafür getan, Nachwuchs zu rekrutieren, aber wenig dafür, Berufssoldaten zu fördern", kritisiert er. 13 Jahre muss der Hauptfeldwebel etwa auf die Chance zur Beförderung und ein Lohnplus von 250 Euro brutto warten. "Ich bin mit Leib und Seele Soldat und würde mich nicht anders entscheiden", betont er, "aber es stört mich, dass meine Laufbahn so unattraktiv ist." Man müsste die Top-Gehaltsstufe erhöhen und Zwischenstufen einziehen, die nach Dienstjahren fällig werden. So wird es zumindest vor den Kasernentoren, bei zivilen Arbeitgebern, gehandhabt. "Da muss sich bei der Bundeswehr noch etwas tun", sagt Schulz.

Andere Aspekte des Soldatseins sind nicht verhandelbar, auch nicht für die junge "Generation Y". Auslandseinsätze zum Beispiel, jene Phasen, auf die der Nachwuchs heiß ist, die sich aber viel zu oft als private Katastrophe erweisen.

Fünf Monate war Schulz am Stück in Afghanistan, Ende Mai geht es für zwei Monate in den Kosovo. Die Zeiträume kann er mit seinem Chef absprechen. Unwägbar bleibt für viele in der gleichen Situation: die Fernbeziehung zum Partner, ein Minenfeld größer als der Hindukusch. Weil die Partner daheim überfordert sind mit Kind, Job und Haushalt, weil sie - nach einer frischen Versetzung - allein in der Fremde hadern. Da kommt bisweilen eins zum anderen, wenn der Soldat nach dem Einsatz nach Hause kommt. "Konto leer, Haus leer, Frau weg", sagt Schulz, "oder Frau mit bestem Kumpel durchgebrannt und der Schlüssel passt nicht mehr." Vor allem Spezialisten trifft es hart: Weil sie besondere Fähigkeiten haben, werden sie besonders häufig im Ausland gebraucht. "Nach dem x-ten mehrmonatigen Einsatz sagt mancher Partner dann: Ich habe mir mein Leben anders vorgestellt, als immer nur allein zu sein", weiß er.

Herzensbrecher Bundeswehr? So will er das nicht stehen lassen. "Die Einsätze sind oft Auslöser, aber nicht Grund der Trennung", sagt er. Weil er die vielen, vielen Geschichten ohne Happy End kennt, plant er seine Phasen der Abwesenheit besonders akribisch: "Meine Frau hat eine ganze Liste mit Notfallnummern, falls im Haus etwas kaputtgeht." Sie nutzt außerdem ein Familienbetreuungszentrum der Bundeswehr, in dem Daheimgebliebene füreinander da sind, ohne dass es viele Erklärungen bräuchte.

Oliver versucht im Auslandseinsatz, Susanne täglich anzurufen, die Kinder per Skype am Wochenende zu sehen. Auch aus Eigennutz: Die wenigsten Soldaten haben den Kopf frei, wenn zu Hause alles zusammenbricht. Ein unkonzentrierter Moment könnte ihr oder anderes Leben kosten.

Trotz aller Trennungsprophylaxe reagiert Schulz sichtlich erleichtert, wenn er in NRW landet und schon von Weitem sieht, dass seine Kinder im Ankunftsbereich mit roten Herzchen-Luftballons stehen. In "Rückkehrergesprächen" rät er entsandten Soldaten dazu, nicht zu erwarten, dass zu Hause alles so ist wie vorher. Die Partner haben in ihrer Abwesenheit den Alltag allein gewuppt. Sich wie vorher auf die Couch zu setzen und zu sagen: "So, die Fernbedienung gehört jetzt wieder mir" funktioniere da nicht. Die meisten Paare trennen sich nicht während der Fernbeziehung, sondern wenn sie wieder zusammen sind. "Mit der Thematik müssen sich die Kameraden mit den Partnern von vornherein auseinandersetzen", betont Schulz. Krieg im Home Office gibt es nicht. Das ändert auch keine Attraktivitätsoffensive von Ursula von der Leyen.

* Namen von der Redaktion geändert.

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