Klüngel-Vorwürfe in NRW Zweifel an Neutralität des Amri-Gutachters

Düsseldorf · Der Gießener Strafrechtler Bernhard Kretschmer verhandelt über einen Wechsel auf einen NRW-Lehrstuhl. Kritiker sehen daher seine neutrale Position als Gutachter in Gefahr, der Versäumnisse der Landesregierung und Verwaltung im Terrorfall Anis Amri aufdecken soll.

 Neutral? Der Gießener Strafrechtsprofessor Bernhard Kretschmer soll mögliche Fehler der NRW-Sicherheitsbehörden im Fall Amri aufarbeiten. Parallel verhandelt er über einen Ruf an eine NRW-Uni. FOTO: DPA

Neutral? Der Gießener Strafrechtsprofessor Bernhard Kretschmer soll mögliche Fehler der NRW-Sicherheitsbehörden im Fall Amri aufarbeiten. Parallel verhandelt er über einen Ruf an eine NRW-Uni. FOTO: DPA

Foto: picture alliance / Rolf K. Wegst

Der „neutrale Sonderermittler“ der Landesregierung zur Begutachtung möglicher Behördenfehler im Fall des Berliner Attentäters Anis Amri verhandelt parallel offenbar über seinen Wechsel in den NRW-Landesdienst. Der Gießener Strafrechtsexperte Bernhard Kretschmer, der in der kommenden Woche eine wissenschaftliche Analyse der Handlungsabläufe im Fall Amri vorlegen soll, hat kurz vor der Beauftragung durch die Staatskanzlei im Januar einen Ruf an die Universität Bielefeld erhalten.

Seither laufen Gespräche über die Ausstattung der Professur für Strafrecht, Strafprozessrecht und interdisziplinäre Rechtsforschung, die von der Universität Bielefeld am 23. Dezember 2016 ausgeschrieben worden war. Die Bewerbungsfrist endete am 20. Januar 2017.

Fünf Tage später hatte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) Kretschmers Ernennung zum Sonderermittler mit dessen Neutralität begründet: „Ausschlaggebend war bei unserer Auswahl, einen fachlich kompetenten, von den Regierungsparteien unabhängigen Gutachter zu benennen, der bisher noch nicht im Auftrag der Landesregierung gearbeitet hat“, sagte Kraft im Landtag.

Die Universität Gießen bestätigte, dass weiterhin um den Weggang des Strafrechtlers aus Hessen gepokert wird: „Wir können mitteilen, das wir derzeit Bleibeverhandlungen mit Prof. Dr. Kretschmer führen – mit dem Ziel, den Ruf nach Bielefeld abzuwehren“, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage unserer Zeitung. Die Uni Bielefeld hielt sich dagegen bedeckt: „Weil es sich um ein laufendes Berufungsverfahren handelt, können wir zum aktuellen Zeitpunkt keine Angaben zur Ruferteilung machen“, erklärte ein Sprecher.

Kretschmer hatte am 10. Februar den Gutachtervertrag mit der Landesregierung unterzeichnet. Bei der Auswahl Kretschmers für die Amri-Begutachtung sei der mögliche Wechsel in den NRW-Landesdienst nicht bekannt gewesen, erklärte ein Regierungssprecher gegenüber unserer Zeitung. „Der Landesregierung war das Berufungsverfahren der Universität Bielefeld vor Beginn der Gespräche mit Prof. Dr. Kretschmer zur Auftragsvergabe nicht bekannt“, sagte der Sprecher wörtlich. Bei Gesprächen im Blick auf den konkreten Vertrag Kretschmers sei die Staatskanzlei jedoch darüber informiert worden, dass der Wissenschaftler einen Ruf nach Bielefeld erhalten habe, erklärte der Regierungssprecher weiter.

Spekulationen in Wissenschaftskreisen über eine fehlende Unabhängigkeit des Wissenschaftlers ausgerechnet bei der Analyse von möglichen NRW-Behördenfehlern im Umgang mit dem Terroristen Amri wies die Staatskanzlei zurück: „Die Landesregierung hat keinerlei Zweifel an der wissenschaftlichen Unabhängigkeit von Prof. Dr. Kretschmer und achtet dessen freie und unabhängige Expertise – auch in der Begutachtung zum Fall Anis Amri“, so der Regierungssprecher. Berufungsverfahren würden im Rahmen der Hochschulautonomie eigenständig durchgeführt und entschieden. Die Landesregierung habe „zu keinem Zeitpunkt Kontakt mit der Universität Bielefeld zu dem in Rede stehenden Berufungsverfahren“ gehabt.

Kretschmer soll am Freitag im Untersuchungsausschuss des Landtags zum Fall Amri als Zeuge aussagen. Er sollte von der Landesregierung Zugang zu allen Dokumenten und Akten erhalten, die das Behördenhandeln im Fall Amri rekonstruieren lassen. Der 24-jährige Tunesier Amri war bis zum Berlin-Attentat in Kleve gemeldet, als islamistischer Gefährder bekannt und fast durchgängig bei den NRW-Sicherheitsbehörden geführt.

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