Lärm in der Innenstadt Ziehe um, wer kann

Meinung | Siegburg · Tag des Sports. Tag des Autos. Tag des Rock'n'Roll. Tag der Musikschulen. Jeweils vom Vormittag bis zum Abend, samt polternder Aufbauarbeit und kakophonischen Soundchecks zuvor, samt polterndem Abbau danach. Unser Autor hat genug vom Lärm in der Innenstadt.

 Trubel von früh bis spät: Verkaufsoffener Sonntag und mittelalterlicher Weihnachtsmarkt in Siegburg.

Trubel von früh bis spät: Verkaufsoffener Sonntag und mittelalterlicher Weihnachtsmarkt in Siegburg.

Foto: Holger Arndt

Es ist nicht angenehm, als Spaßbremse, Spielverderber, Friedhofswärter, Totengräber beschimpft zu werden. Aber nicht zu schreiben, was man denkt, aus Angst vor der Reaktion – das wäre Schere im Kopf und Schweigekartell und Lügenpresse und überhaupt pfui. Also oute ich mich jetzt mal. Als Siegburgs Bürgermeister sich jüngst „mehr Beteiligung an besonderen Aktionen“ wie verkaufsoffenen Sonntagen wünschte, bin ich erschrocken. Ich finde nämlich: In unseren Innenstädten ist es schon jetzt viel zu laut.

Vier Jahre lang habe ich am Marktplatz des lebendigen, aktiven Siegburg gewohnt. „Da bin ich mitten im Geschehen“, dachte ich; es hat sich fatal bewahrheitet. Es geschieht viel in so einer „lebendigen“ Innenstadt. Damit meine ich nicht Karneval und Stadtfest; die sind in jede rheinische Adresse eingepreist und gehen vorbei.

Schlimmer ist das Grundrauschen der rappelnden Marktbeschickerkarren auf dem Pflaster (ab morgens um fünf) und der dauerschrammelnden, trommelnden, geigenden, quäkenden Musikkanonen. Am allerschlimmsten aber ist, dass City-Marketing-Chefs allerorten nicht friedlich schlafen zu können scheinen, bevor sie jeden marktbeschickerkarrenfreien Sonntag zum Event ausgerufen haben.

Tag des Sports. Tag des Autos. Tag des Rock'n'Roll. Tag der Musikschulen. Jeweils vom Vormittag bis zum Abend, samt polternder Aufbauarbeit und kakophonischen Soundchecks zuvor, samt polterndem Abbau danach. Noch nachherer verlassen die letzten Event-Besucher die allerletzte Kneipe und grölen heimwärts, morgens um drei. Dann (inzwischen ist Montag) wieder die rappelnde Blechkarre; und wieder von vorn.

„Wer an einen Marktplatz zieht, muss mit Lärmrisiko rechnen“, schrieb GA-Kollege Dominik Pieper, als im Herbst eine Lärmdiskussion den Siegburger Rat beschäftigte. Natürlich hat er recht. Zwar lässt sich fragen, ob man nicht doch überrascht sein darf, wenn eine Innenstadt (theoretisch also ein Wohn-Ort) sich als eine mit Straßennamen dekorierte XXL-Bühne herausstellt.

Aber all die City-Marketing-Chefs sind zu viele; kein Dezibelmesser, kein Immissionsschutzgesetz, kein ertaubtes Paar Ohren kommt gegen sie an. Auch nicht gegen fröhliche Musikfreunde, die sich (wie vor zweieinhalb Jahren in Bonn) schon mal zum Mob zusammenrotten, um unterm Fenster von Lärmgegnern „Raus!“ zu brüllen. Die meinten damals zwar nicht mich; der Konzert-Impresario, der das organisierte, darf seitdem dennoch auf meine Eintrittsgelder verzichten.

Ich hatte keine Lust auf Lynchjustiz, habe niemanden verklagt, sondern bin weggezogen. Meine neue Wohnung liegt zwischen zwei Hauptstraßen und einem Mehrfamilienhaus mit ganz viel Migrationshintergrund (bei Fußball-turnieren kann spielen, wer mag – irgendwer jubelt immer). Es ist viel ruhiger als zuvor; ich bin zufrieden. Ich brauche nicht in dem stillen, grünen Viertel weiter westlich zu leben wie jenes Ratsmitglied, das in erwähnter Diskussion sagte: „Siegburg ist attraktiv und lebendig – andere Städte sind neidisch auf uns“.

Wir leben in einem freien Land. Jeder hat das Recht, eine durchlärmte Innenstadt zu fordern und nach dem Event ins friedliche Umland zurückzufahren. Aber was passiert wohl, wenn alle Innenstadtbewohner wegziehen, die es sich leisten können – und die, die es nicht können, irgendwann sterben und keinen Nachfolger finden (weil's zu laut ist)?

Dann haben wir „lebendige“ Zentren ohne Menschen. Glitzernde Schaufenster – und ein Stockwerk höher nichts als schwarze Fensterhöhlen. Auch nicht so angenehm, wenn man nach Klang- und sonstiger Welle nachts um halb eins auf dem Weg zum Parkhaus da durchmuss. Es gibt auch eine zweite Sorte Friedhofsruhe. Eine, die der Lärm geschaffen hat, nicht der Verzicht darauf.

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