Kommentar zur Populismus-Studie der Bertelsmann-Stiftung Widerspruch

Meinung · Zu den Aufgaben gehört es, den anmaßenden Anspruch der Populisten, für uns alle zu sprechen, nicht einfach stehen zu lassen. Populisten verdienen unseren Widerspruch, kommentiert GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

 Ein Drittel der Deutschen ist für Populismus empfänglich.

Ein Drittel der Deutschen ist für Populismus empfänglich.

Foto: dpa

Die Studie der Bertelsmann-Stiftung liefert ein Ergebnis, das so gar nicht zur medialen Aufregung rund um das politische Schlagwort Populismus passt. Nüchtern betrachtet ist die bundesdeutsche Gesellschaft weniger anfällig für die großen Vereinfacher, die der Demokratie nichts zutrauen, als die öffentliche Debatte den Anschein erweckt.

Der Begriff Populismus hat Karriere gemacht. Leider machen sich nur wenige Autoren die Mühe, ihn einmal auf Herz und Nieren zu prüfen. Das würde dem Schlagwort viel von seiner Bedrohlichkeit nehmen. Populismus ist seit jeher Teil der politischen Debatte. In allen Parteien und allen Lagern finden sich Politiker, die gerne zuspitzen, wenig differenzieren und Zusammenhänge so vereinfachen, dass sie mehr mit den eigenen Zielen und weniger mit der Wahrheit zu tun haben.

Aber es gibt einen großen Unterschied. Die einen tun das im Sinne einer demokratischen Debatte und behaupten niemals, sie allein sprächen für das Volk. Die Gefährlichen glauben genau das, gehen davon aus, dass es einen wahren Willen einer Mehrheit gibt, den irgendwelche Eliten unterdrücken. Sie lehnen Pluralismus ab, der jede demokratische Gesellschaft kennzeichnet. Dabei ist es übrigens ganz gleich, ob jemand aus einer eher linken oder einer rechten und nationalistischen Ecke argumentiert. Das Grundmuster ist ähnlich, die Ideologie wechselt. Diese Trennschärfe ist notwendig, wenn über Populismus zu reden ist, denn ansonsten taugt der Vorwurf, jemand sei ein Populist, gar nichts.

Die Ergebnisse der Studie spiegeln die politische Verfassung der Bundesrepublik. Sie zeigt immer noch und vielleicht glücklicherweise den Effekt der beiden Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Sie haben offenbar das starke Bedürfnis hinterlassen, die Extreme zu meiden und die Spielregeln der Demokratie ernst zu nehmen. Das Ergebnis spiegelt auch die glückliche Nachkriegsgeschichte Deutschlands und den tief verankerten Konsens über die Werte und Regeln der Grundgesetzes. Das ist offenbar mehr Glück, als es andere europäische Länder zuletzt hatten.

Aber Demokratie ist auch in Deutschland keine Selbstverständlichkeit. Sie lebt davon, dass die Staatsbürger sie mit Sinn erfüllen und ihre Verantwortung nicht nur bei Wahlen wahrnehmen. Mehr Engagement, mehr Beteiligung an den öffentlichen Aufgaben, an der Politik unserer Republik ist von herausragender Bedeutung für die Zukunft

Wenn die Definition von Populismus aus der Studie richtig ist, dann haben Populisten immer ein Problem mit einer offenen Gesellschaft, mit Widersprüchen, Freiheit und notwendigen Kompromissen. Die aber sind das Wesen der Demokratie. Zu den Aufgaben gehört es daher auch, den anmaßenden Anspruch, für uns alle zu sprechen, nicht einfach stehen zu lassen. Populisten verdienen unseren Widerspruch.

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