Hate-Speech im Netz Wenn der Hass auf die Wirklichkeit trifft

Das Internet verstärkt die Wirkung von hetzerischen Kommentaren. So kann eine Minderheit das Klima einer Gesellschaft vergiften.

 Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD).

Foto: dpa

Das Internet galt einmal als Medium der Befreiung. Grenzenlose Kommunikation und der Zugang zu einer Welt des Wissens für jedermann, jederzeit verfügbar, nährten die Erwartung, dass ein neues Zeitalter der Aufklärung anbreche, das am Ende die Menschen weiser, klüger und ja, besser machen würde.

Diese Hoffnung ist zerplatzt, stattdessen herrscht Katzenjammer. Der Frankfurter Zukunftsforscher Matthias Horx beklagt schon eine „kognitive und kommunikative Katastrophe“. Bewusst gestreute Falschmeldungen, Hetze, Hass und Verleumdungen kursieren in Onlineforen und den sozialen Netzwerken. Jeder neunte Internetnutzer ist schon einmal Opfer von Hasskommentaren geworden, sechs Prozent haben bereits selbst einen solchen geschrieben, wie der Branchenverband Bitkom ermittelt hat.

Kommentierende drohen mit Selbstjustiz

Auch die Onlineangebote des General-Anzeigers sind davon nicht verschont. Ressortleiter Marcel Wolber kann schon im Voraus sagen, wann das Team die Leserkommentare wieder besonders sorgfältig prüfen muss: „Wenn es in unserer Berichterstattung um Ausländer oder Salafisten geht.“ Aktuelles Beispiel: Als am zweiten Juni-Wochenende ein Syrer nachts am Beueler Rheinufer eine junge Frau ins Gebüsch zerrte und sie mutmaßlich versuchte zu vergewaltigen, schnellte die Interaktionsrate sofort in die Höhe. Auf vier Artikel zählte Wolber innerhalb kürzester Zeit über 2000 Interaktionen in Form von Reaktionen, Kommentaren und geteilten Inhalten. „Das ist deutlich über dem Schnitt“, so Wolber.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Über straffällig gewordene Flüchtlinge kann und muss diskutiert werden. Ebenso wie über islamistischen Terrorismus. Die Menge der Leserreaktionen zeigt, dass es ein Bedürfnis nach Austausch gibt. Problematisch wird es, wenn Kommentatoren etwa Selbstjustiz üben wollen. „Wenn ich den Täter treffen würde, würde ich ihn umbringen“, postete ein User. Ein anderer wollte ihm einen Stein ans Bein binden, damit er im Rhein ertrinkt.

Manche verlegen sich auf die ironische Sprechweise: „Hoffentlich wird er frei gesprochen. Refugees welcome!!!! Ihr denkt alle nur an das Opfer! Nazis! Im Straßenverkehr passieren viel mehr Unfälle! Es ist ein Einzelfall!“

Hass-Kommentare oft von den selben Personen

Zu entscheiden, ob ein Kommentar gelöscht wird oder stehen bleibt, ist ein schwieriger Balanceakt. Der Vorwurf der Zensur ist schnell bei der Hand. Und es ist Kräfte zehrend, weil die Zahl der Hasskommentare in den letzten Jahren „stark angestiegen“ ist, wie Wolber berichtet. „Bei bis zu 200 Kommentaren innerhalb von zwei Stunden wird für uns die Sichtung nahezu unmöglich.“

Der GA hat sich eine „Netiquette“ gegeben. Respekt vor den Meinungen der anderen gehört dazu, ebenso die Regel, nur das zu schreiben, was man seinem Gegenüber auch ins Gesicht sagen würde. Beiträge, die die Regeln nicht einhalten, werden gelöscht. Im Fall der Berichterstattung über die versuchte Vergewaltigung am Rheinufer traf das auf rund ein Drittel der Leserbeiträge zu.

Die These, es sei die Anonymität des Internets, die die Menschen enthemme und ihre dunklen Seiten freisetze, stimmt insofern nicht, als die Hasskommentare oft unter vollem Namen abgesetzt werden. „Einige kennen wir, weil sie häufiger bei uns sind“, sagt Wolber. Und nicht nur Männer, auch viele Frauen sind darunter.

Soziologen der Universität Zürich unter Leitung von Katja Rost stellten fest, dass namentlich gekennzeichnete Hassbeiträge sogar häufiger sind als anonyme. In ihrer Doktorarbeit fand Lea Stahel auch eine Erklärung für das Verhalten: Die Hetzer glaubten, sich nicht verstecken zu müssen, weil sie sich für eine gerechte Sache einsetzten und aus „moralischer Pflicht“ handelten. „Zudem kann ein Onlinehasser davon ausgehen, dass sein aggressives Verhalten kaum je geahndet wird“, so Stahel.

Aber es gibt eine Gegenbewegung. Die Internetgemeinde und der Gesetzgeber schreiten ein. So soll verhindert werden, dass eine Minderheit im Netz mit Drohungen, Beleidigungen und Verzerrung von Fakten das Klima einer ganzen Gesellschaft vergiftet und die Verrohung in der virtuellen Welt in reale Gewalt mündet.

Statistiken müssen richtig interpretiert werden

Ende 2016 gründete sich die Facebook-Gruppe „#Ichbinhier“. Initiator ist der Hamburger Kommunikationsberater Hannes Ley. Rund 35 000 Mitglieder hat die Gruppe inzwischen. Die Idee: sich in Diskussionen auf Facebook einzuschalten, bei denen die Hetzer versuchen, die Richtung vorzugeben. „Wir zielen auf die vielen stillen Mitleser ab, die Unentschlossenen“, sagte Ley gegenüber „Spiegel Online“. Leider sind nur einige Hundert wirklich aktiv und mischen sich bei Diskussionen ein, betont freundlich und immer bemüht, sachlich mit Argumenten gegenzuhalten.

Was also kann man einem GA-Leser entgegnen, der postet: „300.000 Straftaten bei 1,2 Millionen Flüchtlingen. Das sagt schon alles.“? Die Zahlen hatte das Bundeskriminalamt im April vorgelegt. Sie erfassten die Straftaten, bei denen 2016 Zuwanderer von außerhalb der EU unter Verdacht standen. Wie jede Statistik ist sie interpretierbar und muss erklärt werden.

Bei den angezeigten Straftaten ging es mehrheitlich um Diebstahl und Schwarzfahren, nicht um Totschlag und Vergewaltigung. Opfer der Tötungsdelikte waren überwiegend selbst Zuwanderer, meistens handelte es sich um Auseinandersetzungen in Flüchtlingsunterkünften. Syrer, Iraker und Afghanen waren unter den Verdächtigen unterdurchschnittlich vertreten.

Richtig ist: Zuwanderer machen elf Prozent der Bevölkerung aus, jedoch wurden ihnen 28 Prozent der 2015 gemeldeten Delikte zugeschrieben. Niemand muss das akzeptieren und gutheißen. Die Behauptung aber, Frauen wären in der Öffentlichkeit generell gefährdeter als vor Ankunft der vielen Flüchtlinge 2015, lässt sich durch die Statistik nicht belegen.

Mit dem geplanten „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ will die Koalition den großen Netzwerken Facebook, Twitter und Youtube die Daumenschrauben anlegen. Bei Androhung von bis zu 50 Millionen Euro Bußgeld sollen sie verpflichtet werden, strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen.

Auch Wolber möchte die GA-Leser stärker in die Pflicht nehmen. User könnten unangemessene Kommentare ebenso melden und nicht nur fragen: „Warum lasst ihr die Kommentare stehen?“ Aber es regt ihn auch auf. „Manchmal denke ich: Wie armselig ist das?“

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