Anschlag in Dortmund Was bekannt ist

Dortmund · Die Ermittlungen zum Angriff auf die BVB-Mannschaft bringen erschreckende Erkenntnisse ans Licht. Der Tatverdächtige Sergej W. war vermutlich von Gier getrieben.

Auf den BVB-Mannschaftsbus wurde ein Anschlag verübt.

Auf den BVB-Mannschaftsbus wurde ein Anschlag verübt.

Foto: dpa

Es ist nicht neu, dass Menschen versuchen, Aktienkurse zu manipulieren – durch Gerüchte, Verleumdungen oder bewusst gestreute Fehlinformationen. Ziel ist, bei einem Kurssturz richtig abzukassieren. Aber dass jemand Menschen töten will, um einen Aktienkurs nach unten zu drücken und so hohe Gewinne einzustreichen – Börsenmanipulation durch einen Bombenanschlag –, das ist eine andere Dimension.

Viel wurde gerätselt über die Hintergründe des Attentats auf den Mannschaftsbus des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund: Waren es Islamisten? Linksextreme, militante Fußballfans oder Rechte? Doch was nun herauskommt, überrascht. Demnach ging es um etwas ganz anderes: Geld und Gier.

Nach aktuellem Ermittlungsstand war es Sergej W., der im März im Dortmunder Mannschaftshotel „l’Arrivée“ auskundschaftete, wie das so abläuft, wenn die BVB-Profis zu einem Heimspiel in der Champions League fahren. Vermutlich war er es, der die Bomben aus seinem Hotelzimmer im Dachgeschoss zündete. Von dort sah er die Straße ein, die vom Hotelparkplatz führt. Die drei Bomben sollten vermutlich töten.

Am frühen Freitagmorgen nahmen Beamte der Spezialeinheit GSG 9 den 28 Jahre alten Sergej W. im Raum Tübingen in Baden-Württemberg auf dessen Weg zur Arbeit vorläufig fest und erließen später Haftbefehl. Ihm werden versuchter Mord, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Ein Polizist und BVB-Verteidiger Marc Bartra waren bei dem Anschlag verletzt worden.

Fakten über den mutmaßlichen Täter

Sergej W. lebt nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministeriums in Freudenstadt im Schwarzwald. Nach Informationen der Wochenzeitung „Die Zeit“ arbeitet er im Technischen Bereich der Uniklinik Tübingen. Am Freitagnachmittag wurde der Beschuldigte dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof vorgeführt, der über einen Haftbefehl zu entscheiden hatte. Es gebe „keine Anhaltspunkte für Gehilfen oder Mittäter“, teilte Frauke Köhler, Sprecherin der Bundesanwaltschaft, mit. Drei textgleiche Bekennerschreiben waren am Tatort gefunden worden. Sie sollten den Verdacht nahelegen, es handle sich um islamistisch motivierten Terror. Es gab wilde Spekulationen und krude Theorien. Die Ermittler waren schnell auf der Fährte, die nun zur Festnahme führte. Nach Informationen dieser Zeitung wurde Sergej W. mindestens seit Karfreitag überwacht, sein Telefon wurde seitdem abgehört.

Die Bundesanwaltschaft nannte am Freitag Einzelheiten eines Kriminalfalls, der zu den spektakulärsten in der jüngeren deutschen Geschichte zählt. Sergej W. hatte schon Mitte März das Zimmer in dem Dortmunder Hotel gebucht. Zwei Tage vor dem Anschlag zog er ein. Ein paar Stunden vor dem geplanten Anstoß des Spiels kaufte er sich über den Server des Hotels im elektronischen Handel 15 000 Optionsscheine. Das Geld dafür hatte er sich über einen Kredit in Höhe von „mehreren Zehntausend Euro“ besorgt, wie Sprecherin Köhler sagte.

Es waren sogenannte Put-Optionen, hochspekulative Papiere. Sergej W. setzte auf fallende Kurse – je tiefer, desto besser für ihn. Die Aktie des BVB notierte am 11. April mit durchschnittlich 5,61 Euro. Nach Informationen dieser Zeitung hätte Sergej W. mehr als drei Millionen Euro abkassiert, wenn das Papier auf etwa einen Euro gefallen wäre. Darauf soll er gesetzt haben. Ein solcher Kursverlust wäre nur realistisch gewesen, wenn es einen oder mehrere Tote gegeben hätte.

„Dass man offensichtlich versucht hat, durch den Anschlag Gewinne zu realisieren – das ist natürlich Wahnsinn“, sagte Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke der „Bild“-Zeitung. „Wir werden jetzt im Rahmen unserer Möglichkeiten die Sicherheitsvorkehrungen noch mal dramatisch nach oben schrauben.“ Möglich sei, dass der BVB künftig in einem gepanzerten Mannschaftsbus fährt. Das Modell, das von den Sprengsätzen getroffen wurde, war nur mit Sicherheitsglas ausgestattet.

Auffällige Bewegungen am Finanzmarkt bemerkt

Die Börsenredaktion der ARD wies schon am Tag nach dem Attentat auf eine auffällige Bewegung am Finanzmarkt hin. Es seien Optionsscheine gekauft worden, die auf einen Käufer hinwiesen, der entweder extrem unerfahren sei oder aber einen „extremen Kursabsturz erwartet“ hätte.

Tatsächlich verlor das Papier des einzigen an der Börse notierten Fußballvereins in Deutschland am Tag des Anschlags ein bisschen an Wert. Am nächsten Tag, als das Spiel gegen Monaco nachgeholt wurde und für den BVB mit 2:3 verloren ging, stieg es jedoch schon wieder an.

„Dass es keine weiteren Verletzten oder gar Tote gab, war – wie wir heute wissen – ausschließlich großem Glück geschuldet“, teilte der BVB in einer Stellungnahme mit. Das „Glück“ bestand laut der Ermittler hauptsächlich darin, dass der mittlere Sprengsatz im Gegensatz zu den anderen beiden nicht auf dem Boden, sondern in etwa einem Meter Höhe in einer Hecke deponiert worden war: „Damit war er zu hoch angebracht, um seine Wirkung voll entfalten zu können.“

Watzke sowie Vereinspräsident Reinhard Rauball wurden darin zitiert: „Die Ermittlungen (…) wurden sehr intensiv und mit Hochdruck geführt. Dafür bedanken wir uns in aller Form und hoffen, dass im Tatverdächtigen nun der Verantwortliche für den niederträchtigen Anschlag auf unsere Spieler und Staff-Mitglieder gefasst werden konnte.“

An diesem Samstag steht für den BVB das Bundesligaspiel bei Borussia Mönchengladbach an. Es geht darum, sich wieder für die Champions League zu qualifizieren.

Mannschaftskapitän Marcel Schmelzer stellte in einer Reaktion auf die vorläufige Festnahme das Interesse heraus, „dass wir die tatsächlichen Hintergründe des Anschlags erfahren. Für alle, die im Bus saßen, wären diese Informationen wichtig, denn sie würden den Verarbeitungsprozess deutlich erleichtern.“

Trainer Thomas Tuchel hatte darum gebeten, die Leistung in den beiden Spielen gegen Monaco nicht mit den üblichen Maßstäben zu werten. Die Hintergründe, wie er und seine Spieler in die extrem belastende Situation kamen, scheinen nun zumindest geklärt.

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