Sachsen wählt Landtag Wahlkampf am Küchentisch

DRESDEN · Das Möbel muss über die Straße. Gleich ist wieder ein Wahlkampftermin, dieses Mal unter dem Reiterdenkmal August des Starken in Dresden-Neustadt. Martin Dulig reist jetzt schon seit Wochen mit seinem Küchentisch durch Sachsen. Ein Küchentisch im Wahlkampf. Das ist der Clou.

 Wahlkampf an der Ostsee: Martin Dulig (SPD, links) mit seinem Parteifreund Christian Pegel, Verkehrsminister von Mecklenburg-Vorpommern, bei einem Termin in Ahlbeck.

Wahlkampf an der Ostsee: Martin Dulig (SPD, links) mit seinem Parteifreund Christian Pegel, Verkehrsminister von Mecklenburg-Vorpommern, bei einem Termin in Ahlbeck.

Foto: dpa

"Die besten Gespräche werden bei mir am Küchentisch geführt", hatte SPD-Spitzenkandidat Dulig schon den Delegierten des SPD-Bundesparteitages im November vergangenen Jahres in Leipzig gesagt. Damit war die Idee geboren. Wahlkampf mit Küchentisch, der inzwischen derart strapaziert ist, dass er mit Winkeln verstärkt werden musste, um die entscheidenden Wochen bis zur Landtagswahl in Sachsen übermorgen zu überstehen.

Auch an der Ostsee war Dulig mit dem betagten Möbel schon, um dort am Strand mit Urlaubern aus Sachsen ins Gespräch zu kommen. Schließlich hatte die Landesregierung mit Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) den Wahltermin gezielt auf den letzten Sonntag der Sommerferien im Freistaat gelegt. Die Konkurrenz ist verstimmt - Wahlkampf in der Ferienzeit, wenn viele Wähler gar nicht im Lande sind. Da müsse sich Tillich nicht wundern, wenn er damit wegen geringer Wahlbeteiligung auch einen Wiedereinzug der NPD in den sächsischen Landtag mit ermöglichen würde. 2009 waren die Rechtsradikalen mit 5,6 Prozent wieder in den Landtag eingezogen. 2004 waren sie sogar auf 9,2 Prozent gekommen. Und auch jetzt könnte die NPD mit Werten von um die fünf Prozent wieder in den Landtag kommen.

Gerade noch hat das SPD-Präsidium getagt - zur Unterstützung der sächsischen Genossen dieses Mal nicht in Berlin, sondern in Dresden. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der gleich mit dem Bus noch zu einer Betriebsbesichtigung ins Erzgebirge ausrückt, hofft denn auch, man werde Tillich "einen Strich durch die Rechnung machen". Der CDU-Spitzenkandidat wolle mit dem Wahltermin am letzten Ferientag offenbar davon profitieren, "wenn möglichst wenige Menschen zur Wahl gehen". Gabriels Ziel ist klar: "Wir wollen, dass die SPD regiert in Sachsen." Als Juniorpartner der CDU, die im Freistaat seit 24 Jahren den Ministerpräsidenten stellt. Erst Kurt Biedenkopf, dann Georg Milbradt und seit Mai 2008 Tillich.

Dabei kann Tillich, dessen CDU nach Umfragen mit rund 40 Prozent ein klarer Wahlsieg vorausgesagt wird, am Morgen danach womöglich genauso ohne Koalitionspartner dastehen wie Angela Merkel nach der Bundestagswahl 2013. Der bislang mitregierenden FDP droht auch in Sachsen die außerparlamentarische Opposition und somit der Verlust ihrer letzten Regierungsbeteiligung in einem Bundesland.

Was dann? Tillich laviert. Der Ministerpräsident hat sich bislang ambivalent zur Möglichkeit einer Koalition mit der Alternative für Deutschland (AfD) geäußert, der in Sachsen sieben Prozent zugetraut werden. Nichts scheint ausgeschlossen, obwohl die Bundes-CDU der Euro-kritischen AfD zu Wochenbeginn nochmals eine klare Absage erteilte. "Das gilt für den Bund und für die Länder", so Generalsekretär Peter Tauber. Tillich hat die Wahl: Er könnte ein Bündnis mit den Grünen wagen, deren Spitzenkandidatin Antje Hermenau als Befürworterin von Schwarz-Grün gilt und süffisant darauf verweist, ihre Partei müsse sich erst einmal "aus dem Trittin-Loch" der letzten Bundestagswahl herausarbeiten. "Denn es ist möglich", werben die Grünen, die aktuell zwischen sechs und sieben Prozent liegen, für eine Wende.

Auch Duligs SPD stünde als Koalitionspartner für Tillichs CDU parat, auch wenn die Sozialdemokraten in Sachsen mit Werten von 14 bis 15 Prozent am Status einer Volkspartei allenfalls kratzen.

Zweite Kraft im Freistaat ist die Linke mit ihrem Spitzenkandidaten Rico Gebhardt, die nach letzten Umfragen mit 19 bis 20 Prozent rechnen kann. Weder Dulig noch Hermenau sehen gegenwärtig den Boden bereitet für ein rot-rot-grünes Bündnis in Sachsen, für das es auch rechnerisch nicht reichen würde. Gebhardt ist Tillichs eigentlicher Herausforderer. Für Rot-Rot-Grün und einen Wachwechsel in der Staatskanzlei würde Gebhardt sogar auf das Amt des Ministerpräsidenten verzichten. "Ich kann mir auch ein Modell vorstellen, in dem tatsächlich eine parteilose Ministerpräsidentin von allen Dreien getragen wird." Tillich hält das für ausgeschlossen und prophezeit: "Wir sehen uns dann wieder, Sie in der Opposition und ich in der Regierung." Gebhardt kontert: "Oder umgekehrt."

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