Petra Kelly und Gert Bastian Vor 20 Jahren wurden die Grünen-Mitgründerin und ihr Lebensgefährte tot aufgefunden

BONN · Das schlichte Reihenhaus in der Swinemünder Straße im Bonner Stadtteil Tannenbusch sieht fast so aus wie vor 20 Jahren. Damals lebten hier unauffällig und zunächst glücklich zwei Prominente der deutschen Politik: die Mitbegründerin der Grünen, Petra Kelly, und ihr 25 Jahre älterer Lebensgefährte, der frühere General Gert Bastian. Sie lebten hier und sie starben hier. Die Gründe sind bis heute ungeklärt.

 Bonner Friedensdemo 1981: Gert Bastian und Petra Kelly sind mit dabei.

Bonner Friedensdemo 1981: Gert Bastian und Petra Kelly sind mit dabei.

Foto: GA-Archiv

Für heutige Nachbarn in der Reihenhaussiedlung ist das Thema keines mehr. Einer, der vorbeikommt und auf das Bastian-Kelly-Haus zeigt, verweist darauf, dass der gewaltsame Tod hier kein Einzelfall geblieben ist. "Nebenan ist ein Tennislehrer verbrannt", sagt er, "und da hinten", er zeigt auf ein anderes Haus, "gab es einen Mord, der bis heute nicht aufgeklärt ist". Und, setzt er hinzu, und es soll ganz und gar nicht zynisch klingen: "Hier ist ordentlich was los."

Was im Fall Bastian/Kelly los war, weiß bis heute niemand genau. Am 19. Oktober 1992 werden die beiden tot aufgefunden. Sachverständige ermitteln, dass sie fast drei Wochen tot in ihrem Haus gelegen haben müssen.

Mehr als vier Monate später, am 4. März 1993, gibt die Staatsanwaltschaft Bonn eine Presseerklärung heraus: "Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft Bonn steht fest, dass die tödlichen Schüsse von Gert Bastian abgegeben worden sind. Mit seiner Pistole Derringer, die er seit 1963 besaß, tötete er die im Bett liegende Petra Kelly mit einem aufgesetzten Schuss in die Schläfe. Anschließend nahm er sich selbst mit einem am Scheitel aufgesetzten Kopfschuss das Leben.

Dies wird durch die Untersuchungen, insbesondere die bei Gert Bastian an beiden Händen festgestellten Schmauchspuren, das Fehlen entsprechender Spuren an den Händen von Petra Kelly sowie einer gerichtsmedizinischen Untersuchung der Blutspuren am Tatort und einer Rekonstruktion der Tat belegt.

Soldatentochter Kelly wusste von der Waffenliebe ihres Freundes, Lebensgefährten, Sekretärs und Managers: "Gert würde sich das nie verzeihen, wenn er mich nicht verteidigen könnte", wird sie zitiert. Aber die zentrale Frage blieb unbeantwortet. War es Mord oder Doppelselbstmord? Hinweise, dass Petra Kelly sterben wollte, gab es allerhöchstens in der zweideutigen Form, sie könne "ohne Gert nicht mehr leben".

Die Staatsanwaltschaft tut einen Zeugen auf, dem Bastian ein Jahr vor der Tat gesagt haben will, "er sehe phasenweise keine Perspektive mehr für Petra und denke manchmal daran, Petra im Schlaf zu erschießen und dann sich selbst". Für Oberstaatsanwalt Peter Iwand gab es dennoch keinen Zweifel an der Selbstmordtheorie: "Auch das Fehlen eines Abschiedsbriefs gibt keinen Anlass, an dem Selbstmord der beiden ehemaligen Bundestagsabgeordneten zu zweifeln."

Für andere war das weniger klar. Ihr Terminkalender war voll bis ins Jahr drauf. 1994, das war ausgemachte Sache, sollte sie für das Europaparlament kandidieren, wie so viele, deren bundespolitische Karriere aus welchen Gründen auch immer beendet war. Plötzlich und unerwartet wie bei Petra Kelly.

Sie wäre damit zu ihren beruflichen Anfängen zurückgekehrt. Denn von 1972 bis 1982 war die 1947 Geborene für die Europäische Kommission in Brüssel. In diese Zeit fiel, 1979, die Gründung der "Grünen". Kelly war Gründungsmitglied, seit 1980 mehrere Jahre Co-Vorsitzende, 1983 zog sie überraschend schnell in den Bundestag ein und flog 1990 genauso schnell wieder aus dem Parlament, weil die West-Grünen bei der ersten Wahl nach der Einheit an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten.

Die hyperaktive Kelly stand ohne Hauptaufgabe da. Rita Süssmuth, die Bundestagspräsidentin, in ihrem Nachruf auf Petra Kelly und Gert Bastian: "Die Unbeugsamkeit, mit der sie ihre politischen Vorstellungen in der von ihnen mitgegründeten Partei vertraten, hat offenbar zu einem fast tragisch zu nennenden menschlichen Alleingelassensein geführt."

Alleingelassen zunächst mal in der Politik. Grünengründerin Kelly weigerte sich 1985, dem grünen Rotationsprinzip Folge zu leisten und abzudanken. Die Folge waren immer heftigere parteiinterne Angriffe. Gert Bastian, im Streit um den NATO-Doppelbeschluss aus der Bundeswehr gegangen, zog ebenfalls 1983 in den Bundestag ein, richtete aber schon ein Jahr später heftige Angriffe gegen die Grünen, und vollzog danach den Parteiaustritt.

Er sprach von "Kadertaktik", gewaltorientierten Zügen in der Partei und von "überholten Klassenkampfvorstellungen". Die junge politische Heimat war für den friedensbewegten General schnell Vergangenheit.

Was im Privatleben der beiden geschah, bleibt weitgehend Spekulation, auch wenn eine prominente Autorin und Freundin, die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, ein Urteil fällt. "Ich sage, es ist Mord." Sie spricht von der "gnädigen Lüge vom Doppelselbstmord", schreibt ein Buch mit dem Titel "Eine tödliche Liebe" und kommt zu dem Schluss: "Die Verbindung, die am Anfang so glamourös und so spannend für beide war, gleitet mehr und mehr in die Isolation, den Krampf und die Neurose." Pfarrer Jörg Zink fragt bei einer Gedenkfeier: "Petra, warum hast du uns so früh verlassen?"

Und Schwarzer notiert daraufhin: "Verlassen? Die 44-jährige Trägerin des Alternativen Friedensnobelpreises ... ist nie gefragt worden, ob sie sterben will. Sie ist gegen ihren Willen getötet worden." Und sie spricht von "Verdrängung, Nichtwahrhabenwollen, Nichthinsehenwollen". Das gilt in gewissem Maße auch für die Tannenbuscher Umgebung der Beiden. Nichts erinnert dort heute an dieses ungleiche Paar.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort