Regierungskrise in der Ukraine Viele Ostukrainer fürchten, ohne Moskau ihre Existenz zu verlieren

DONEZK · Nach der Krim stehen nun die Unruhen im Osten der Ukraine im Focus. Wie viele Einwohner tatsächlich eine Abspaltung ihrer Region und eine größere Nähe zu Russland wollen, ist unklar. Unstrittig aber ist: Vielen sitzt die Angst vor einem wirtschaftlichen Niedergang im Nacken, sollte sich Moskau von der Ostukraine abwenden.

Im Osten schlägt das industrielle Herz der Ukraine: Neben dem Stahl- und Kohlerevier sind dort auch die wichtigsten verarbeitenden Betriebe beheimatet. Ob die Stahlindustrie in Donezk, die Turbinenfabriken in Charkiw oder die Rüstungsbetriebe in der ganzen Region - für alle galt Russland bisher als wichtigster Kunde. Doch plötzlich ist alles anders: Im März stoppte Kiew seine Militärexporte nach Russland.

Bei den Demonstranten in Donezk ist deshalb viel die Rede von Fabrik- und Bergwerksschließungen und von "deutschen Geschäftemachern", die sich ein Unternehmen nach dem anderen einverleiben würden. "Unsere Produkte werden von Russland gekauft, niemand anderes in Europa braucht sie", sagt die 27-jährige Demonstrantin Lilja. "Die Hälfte meiner Landsleute wird ihre Arbeit verlieren."

Zu Sowjetzeiten saßen viele hochspezialisierte Unternehmen in der Ostukraine. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 änderte sich das schlagartig. Die Region hatte Probleme, sich an die neuen Regeln des Kapitalismus anzupassen, viele Fabriken mussten schließen. Die anderen produzierten ihre alten Produkte einfach weiter. Die grassierende Korruption half wenig, die ukrainische Wirtschaft zu modernisieren.

Offiziellen Angaben zufolge lagen die ukrainischen Exporte nach Russland im Januar und damit vor dem Umsturz in Kiew bei umgerechnet knapp 540 Millionen Euro, die russischen Importe beliefen sich auf 1,05 Milliarden Euro. Keine Zahlen liegen bisher dazu vor, wie viele Unternehmen vor allem aus dem Weltraum- und Rüstungssektor inzwischen ihre Verbindungen zu Russland gekappt haben. Der neue Chef der Rüstungsholding Ukroboronprom, Jurij Tereschtschenko, räumt lediglich ein, dass mit größeren finanziellen Verlusten zu rechnen sei. "Aber ist es vernünftig, die Armee unseres Feindes auszurüsten?", fügt er hinzu.

Experten räumen ein, dass sich wahrscheinlich tatsächlich niemand im Westen für die für den russischen Markt produzierte ukrainische Technik interessieren wird. Darin aber liege auch eine Chance: Der Osten könnte endlich gezwungen sein, seine veraltete Industrie zu modernisieren. Wie lange der Umbau brauchen wird, weiß allerdings niemand.

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