Asyldebatte Viele Bundesländer wollen keine Ankerzentren

Berlin · Auch NRW distanziert sich von Ankerzentren, in denen Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive untergebracht werden sollen. In Bonn laufen derzeit Prüfungen im Zusammenhang mit den Problemen im Bremer Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

 Das Transitzentrum im bayrischen Maching könnte zum Ankerzentrun werden und landesweit als Vorbild dienen. (Archivfoto)

Das Transitzentrum im bayrischen Maching könnte zum Ankerzentrun werden und landesweit als Vorbild dienen. (Archivfoto)

Foto: dpa

Die Theorie hinter den viel diskutierten Ankerzentren für einen neuen Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern ist sehr einfach. Ankunft – Entscheidung – Rückführung – fertig. Aber fehlende Antworten auf die Frage, wie diese Buchstabenkombination Anker in der Praxis funktionieren soll, haben die meisten Bundesländer erst einmal auf Distanz gehen lassen. Zunächst hatte auch NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) die Ankündigung von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) „im Grundsatz begrüßt“. Inzwischen gehört aber auch das schwarz-gelb regierte Bundesland zum Reigen der Länder, die lieber erst einmal abwarten.

In einem unserer Redaktion vorliegenden Brief an Seehofer fasst Stamp seine Bedenken in einem Satz zusammen: „Bevor sich Nordrhein-Westfalen auf Fachebene mit einem Pilotprojekt auseinandersetzt, muss unter anderem entschieden werden, wer in den Zentren untergebracht wird, welche Größe die Einrichtungen haben, ob neben dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dort auch Platz für einen Verwaltungsrichter ist, wie eine geeignete Verfahrens- und Rückkehrberatung gestaltet wird, wie das Umfeld eingebunden wird und welche Verantwortung der Bund bei der konkreten Ausgestaltung und Finanzierung übernimmt.“

Vor einer Woche hat Stamp das Schreiben an Seehofer geschickt und daran erinnert, dass er auf einen ähnlichen Brief vom 23. April mit einem Gesprächsangebot noch keine Antwort erhalten hat. „Nachdem zwischenzeitlich eine Reihe von Ländern dem Vernehmen nach erklärt hat, nicht bereit zu sein, an einem Pilotverfahren teilzunehmen, darunter auch solche mit Innenministern der Union, scheint mir ein solches Gespräch nunmehr umso dringlicher“, hält Stamp fest.

Doch Seehofer ging bereits öffentlich auf Distanz zu Stamps Initiative, die Einzelheiten von Ankerzentren und Migrationsfragen auf einem Flüchtlingsgipfel zu klären. „Migrationsgipfel sind immer gut“, gab Seehofer zu Protokoll, ergänzt um ein „aber“: Es sei genug geredet worden, nun gehe es ums Handeln: „Wir müssen ein Problem lösen.“

Für Seehofer sind die Ankerzentren Teil seines „Masterplanes“, den er nächste oder übernächste Woche durchs Kabinett bringen will. Ziel ist es, die Abschiebungszahlen deutlich zu erhöhen. Er will damit ganz vorne anfangen: Bevor Flüchtlinge ohne dauerhafte Bleibeperspektive auf Städte und Gemeinden verteilt werden und sich dann häuslich einzurichten beginnen, sollen sie lieber das ganze Verfahren in solchen Ankerzentren durchlaufen und im Fall eines ablehnenden Bescheides umgehend das Land wieder verlassen.

Ursprünglich hatte die CSU den Flüchtlingen jeden Weg aus den Zentren in die Umgebung verwehren wollen. Dem stellte sich die SPD entgegen. Und auch Elise Bittenbinder, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer, warnte eindringlich vor den Folgen: „Die erzwungene Kasernierung von Menschen ohne sinngebende Beschäftigung – zumal von traumatisierten Menschen – führt erwiesenermaßen zu erhöhtem psychischen Stress“, schildert die Berliner Therapeutin. Es soll nun ausdrücklich nicht kaserniert werden. Damit besteht die Gefahr, dass Flüchtlinge unterzutauchen versuchen, wenn sie spüren, dass es schlecht um ihren Antrag steht.

So wünschten denn verschiedene Landesinnenminister Seehofer bereits viel Vergnügen bei dem Versuch, Gemeinden zu finden, die ein solches Ankerzentren mit jeweils wohl einer vierstelligen Zahl von Bewohnern in ihrer Nachbarschaft begrüßen. Seehofer versprach, die Bundespolizei zur Unterstützung der Sicherheit zur Verfügung zu stellen. Doch auch die Gewerkschaftsvertreter der Bundespolizisten winkten entgeistert ab. Eine „Isolation von Schutzsuchenden“ sei mit ihnen nicht zu machen, sagte Jörg Radek, der bei der Gewerkschaft der Polizei für die Bundespolizei spricht. Bewusst verwendet er das Wort „Lager“, nachdem er sich die bayerischen Transitzentren angeschaut hat, die für die Ankunftszentren als Vorbilder dienen sollen. „Alles andere wäre verbale Kosmetik“, so Radek.

Doch Seehofer steht unter dem selbst geschaffenen Druck, bis zu den bayerischen Landtagswahlen am 14. Oktober funktionierende Ankerzentren vorweisen und damit nachweisen zu können, dass es die CSU ernst meint mit der Begrenzung und dem Abschieben. „Fünf bis sechs“ Pilotprojekte in möglichst vielen Bundesländern sollten es sein. Übrig geblieben sind derzeit nur das Saarland, Sachsen und Bayern selbst. Ob Seehofer wenigstens unter den Unions-Innenministern noch viel bewegen kann, wenn er sein Vorhaben in der nächsten Innenministerkonferenz vorstellt, wird stark bezweifelt.

Die Unionsfraktion schaltet bereits um auf Augen zu und durch. Die SPD wisse doch, dass die Ankerzentren im Koalitionsvertrag keine vage Absicht sondern fest vereinbart seien, inklusive detaillierter Regelung, unterstreicht Unionsvize Stephan Harbarth im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wir werden nun in einem ersten Schritt durch Pilotprojekte offene Fragen klären und Erfahrungen sammeln“, kündigt er an. Dabei sei die Zahl der beteiligten Länder „nicht ausschlaggebend“.

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