Kommentar zur Politikkrise in Deutschland Die deutsche Politik hat viel Vertrauen verspielt

Meinung | BONN · Wohin treibt die deutsche Politik? Schaut man auf das Geschehen der vergangenen Wochen, dann ist man versucht zu sagen: ins Nirwana. Ein passendes Wort für die aktuelle Stimmung im Land muss wohl noch erfunden werden.

Glaubte man nach dem „Sommertheater“ zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer noch, die politische Fingerhakelei sei an Absurdität nicht mehr zu überbieten, dann zeigt die peinliche „Lösung“ der Affäre Maaßen, dass dies eine Illusion und der Gipfel noch nicht erreicht war. Die Quintessenz dieser Einigung der Parteispitzen von CDU, CSU und SPD lässt sich mit einem Satz zusammenfassen: Koalition (fürs erste) gerettet, Vertrauen restlos verspielt.

Wer, außer den Hauptdarstellern in diesem Stück, das zwischen Groteske und Schmierentheater oszilliert, soll diese Entscheidungen denn noch verstehen? Da wird ein Mann, der sich für die Führung des Verfassungsschutzamtes diskreditiert hat, mit einem Staatssekretärsposten in Seehofers Innenministerium belohnt, mit Zuständigkeit ausgerechnet für Sicherheit, ausgenommen den Verfassungsschutz.

Wie will SPD-Chefin Andrea Nahles eigentlich der Parteibasis erklären, dass für dieses ohnehin abenteuerliche Manöver auch noch der einzige SPD-Staatssekretär im Bundesinnenministerium geopfert, sprich in den einstweiligen Ruhestand geschickt wird? Der Mann war immerhin zuständig für Bauen und Wohnen, eines der Schlüsselthemen dieser Bundesregierung, und galt als ausgewiesener Experte. Wer will es den Wählern, auch bisher treuen CDU- und Merkel-Anhängern, verdenken, wenn sie sich mit Grausen von der Politik abwenden, wenn sich immer mehr Genossen fragen, warum sie diese SPD noch wählen sollen?

Selbst wenn die große Koalition in einzelnen Punkten Akzente setzen und gute Entscheidungen treffen sollte – alles wird überschattet von dem Eindruck, dass es nicht mehr um Sachfragen geht, sondern um Mauscheleien, um Machterhalt und den Egotrip eines Horst Seehofers, der angesichts der drohenden historischen Wahlpleite in Bayern die ganze Koalition und die Bundeskanzlerin praktisch in Geiselhaft nimmt.

Von Politikverdrossenheit ist schon seit Langem die Rede, ein passendes Wort für die aktuelle Stimmung im Land muss wohl noch erfunden werden. Es ist nicht die Bundespolitik allein, die dafür verantwortlich ist. Auch politische Manöver wie in Nordrhein-Westfalen, wo die Landesregierung im Hambacher Wald Baumhäuser abreißen lässt mit der satirereifen Begründung, der Brandschutz sei nicht gewährleistet, verstärken den Eindruck, dass Tricksereien zum politischen Alltag geworden sind.

Inzwischen geht es um mehr als um diese große Koalition, es geht um Vertrauen in die Demokratie schlechthin. Geht es noch weiter verloren, ist der Weg frei für Populisten jeder Art. Wer das nicht will, muss zurückkehren zu einer Politik, die Probleme anpackt und den Bürger ernst nimmt, anstatt mit Mauscheleien das Wohlergehen einer einzelnen Partei zu sichern.

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