Neues Ausmaß von Islamismus? Verfassungsschutz fürchtet Dschihadisten im Kindesalter

Berlin · Von Gewalt geprägt und ideologisch indoktriniert: der Verfassungsschutz fürchtet eine Dschihadisten-Generation im Kindesalter.

 Kinder im Irak.

Kinder im Irak.

Foto: AFP

Der Verfassungsschutz warnt vor einer neuen Dimension des islamistischen Terrorismus: Es gehe ein bislang ungeahntes Gewaltpotenzial von Kindern und Jugendlichen aus, die im Kalifat durch Gewalt geprägt und ideologisch indoktriniert wurden und nach dem Zerfall des „Islamischen Staates“ nun mit ihren Müttern nach Deutschland kommen könnten. „In der IS-Propaganda stehen Kinder für eine neue Generation von IS-Kämpfern, die als skrupellos und brutal dargestellt werden“, erläuterte Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen.

Bereits im vergangenen Jahr wiesen vier verübte und versuchte Anschläge in Deutschland eine auffällige Gemeinsamkeit auf: Die Täter waren minderjährig.

Hannover, 26. Februar 2016: Nach der Zuwendung zum Dschihad stößt eine Täterin einem Polizisten ein Messer in den Hals und verletzt ihn lebensgefährlich. Sie ist 15 Jahre alt. Essen, 16. April 2016: Ein gefährlicher Sprengstoffanschlag auf einen Sikh-Tempel mit islamistischer Motivation. Drei junge Männer werden als Täter verurteilt, zwei davon sind 16 Jahre alt. Würzburg, 18. Juli 2016: Ein Islamist greift mit einer Axt Zugpassagiere und eine Passantin an, verletzt sie schwer. Er ist 17 Jahre alt. Ludwigshafen, 5. Dezember 2016: Eine Nagelbombe soll auf dem Weihnachtsmarkt viele Menschen töten, sie wird entdeckt und rechtzeitig entschärft. Der Täter ist stark religiös radikalisiert und unternimmt gleich zwei derartige Versuche. Und: Er ist zwölf Jahre alt.

Bereits auf dem Höhepunkt des IS-Siegeszuges beobachteten die Sicherheitsbehörden mit Sorge, dass die Propagandavideos des „Islamischen Staates“ vor allem auf Jugendliche wirkten, die sich daraufhin der Terrormiliz in Syrien und im Irak anschließen wollen. Manche wurden von ihren Eltern gestoppt, manche von Behörden aufgegriffen, aber nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes haben es auch knapp zwei Dutzend bis in die Kampfgebiete geschafft. Von den 950 Islamisten, die aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausreisten, seien rund fünf Prozent minderjährig gewesen.

Ein Drittel der Islamisten ist zurückgekehrt

Rund ein Drittel der 950 ist bislang zurückgekehrt. Auffällig wenige Frauen sind darunter – bislang. Aber nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden könnte sich das nun ändern: „Aufgrund der Lage in den Dschihadgebieten ist damit zu rechnen, dass Frauen zusammen mit ihren Kindern zurückkommen“, heißt es in einer Analyse des Verfassungsschutzes. Damit kommen diejenigen, die im Angesicht von Krieg, Gewalt und religiösem Fanatismus aufgewachsen sind. Sie haben die Hinrichtung von Gegnern nicht nur erlebt, manche mussten sogar selbst mit dem Messer morden, Kleinkinder bekamen Pistolen in die Hand, um Gefangene zu töten.

„Die fortwährende dschihadistische Sozialisation von Kindern durch das familiäre Umfeld und die Erfahrungen beim IS stellen eine Herausforderung für den Verfassungsschutz dar“, hält die Behörde fest. Und verweist in diesem Zusammenhang auf den möglichen Einfluss salafistischer Milieus in Deutschland auf solche jungen Menschen. Der Salafismus ist die am stärksten wachsende Strömung: 2011 gingen die Behörden noch von rund 3800 Personen aus, inzwischen sind es bereits mehr als 10.000. Aktuell geht der Verfassungsschutz von einem auf 1870 Köpfe angewachsenen islamistisch-terroristischen Personenpotenzial aus, also Menschen, die einen Anschlag planen, begehen oder bei den Vorbereitungen mitwirken könnten.

Kinder sind in dieser Rechnung nicht enthalten. Ihre Daten darf der Verfassungsschutz schlicht nicht speichern. Die Bedrohungslage ist auch den politisch Verantwortlichen seit einigen Jahren bekannt. Die große Koalition senkte daher im Vorjahr die Altersgrenze von 16 auf 14 Jahre. Doch die CSU will sie ganz streichen und die Beobachtung nicht mehr vom Alter, sondern vom Anlass abhängig machen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort