Sohn tödlich verunglückt Vater pflegt seit acht Jahren Kreuz am Straßenrand

Alpen · Vor acht Jahren verunglückte Wolfgang Stoppas Sohn Normen tödlich mit seinem Smart. Seitdem pflegt der Vater eine Gedenkstätte an der Unfallstelle.

 Wolfgang Stoppa am Unfallkreuz für seinen Sohn Normen an der L 491 nahe Kamp-Lintfort: Hier verunglückte der 19-Jährige 2010 tödlich.

Wolfgang Stoppa am Unfallkreuz für seinen Sohn Normen an der L 491 nahe Kamp-Lintfort: Hier verunglückte der 19-Jährige 2010 tödlich.

Foto: Christoph Reichwein

Die Landstraße 491 zwischen Alpen und Kamp-Lintfort ist eigentlich ein schöner Ort, sagt Wolfgang Stoppa. Von Alpen kommend fährt man aus dem Wald heraus in einer langgezogenen Linkskurve auf Kamp-Lintfort zu. Äcker säumen die Straße, linker Hand befindet sich ein Sportflughafen. Am 16. Februar 2010 starb Stoppas Sohn Normen hier bei einem Verkehrsunfall. „Es war Veilchendienstag, kalt, aber heiter“, erzählt der Vater. Normen war unterwegs nach Kamp-Lintfort und kam auf der eisglatten Straße von der Fahrbahn ab. Über die Erdhügel eines Ackers sei er „wie mit einem Katapult“ in eine Baumkrone geschleudert worden. Der 19-Jährige, Azubi bei Daimler, begeisterter Motorradfahrer und BVB-Fan, das jüngste Kind der Familie, war sofort tot. Bis heute erinnert an der Unfallstelle ein Kreuz an ihn.

Drei Wochen nach dem Unglück hat seine Familie es aufgestellt. Erst nur ein schlichtes Holzkreuz, vor anderthalb Jahren wurde es durch ein Edelstahlkreuz ersetzt. Wolfgang Stoppa fährt jeden Tag hier vorbei, es sind nur vier Kilometer bis zum Wohnort der Familie. Oft hält er an, legt Blumen nieder oder zündet eine Kerze für seinen Sohn an. „Das ist ein Ort zum Innehalten“, sagt der 59-Jährige, „ein Ort, an dem Vergangenheit und Gegenwart aufeinandertreffen.“ Einmal im Monat pflegt er auch die Umgebung der Gedenkstätte, mäht das Gras, bringt alles in Ordnung.

Dem Traumapsychologen Peter Schüßler zufolge sind solche Kreuze für Angehörige und Freunde eine Möglichkeit, ihre Trauer und ihren Schock über den unerwarteten Todesfall auszudrücken. „Wenn ein Mensch so plötzlich aus dem Leben gerissen wird, herrscht oft erst einmal Sprachlosigkeit.“ Besonders bei jungen Menschen, die bei tödlichen Verkehrsunfällen überproportional betroffen sind, könne ein Kreuz helfen, den unerwarteten und oft grausamen Tod zu verarbeiten.

Sterbeort für die Familie immer noch wichtig

Die Anthropologin Christine Aka hat vor zehn Jahren eine wissenschaftliche Arbeit über Unfallkreuze vorgelegt, für die sie rund 250 Kreuze auf westfälischen Straßen dokumentierte und mit denen sprach, die sie aufgestellt hatten. „Häufig sind das am Anfang Freunde, nach einiger Zeit übernehmen dann aber die Eltern“, sagt Aka. Die Gedenkstätten würden dann meist aufgeräumt und neu geschmückt. Zudem seien neben Blumen und Kerzen oft auch Geschenke und Briefe an den Kreuzen zu finden. „Die Stätten spiegeln so die Trauerphasen wider“, erklärt Aka. Tage wie Weihnachten, der Geburtstag oder der Todestag des Verunglückten würden auch an den Gedenkstätten zelebriert, mit saisonalem oder besonders aufwendigem Schmuck zum Beispiel.

Auch die Familie Stoppa macht das so. Eigentlich wollten er und seine Frau noch am Unfallabend den Sterbeort ihres Sohnes besuchen, erzählt Wolfgang Stoppa – doch der Opferbeauftragte der Polizei habe davon abgeraten. Vier Tage später waren die Eltern dann mit ihrer Tochter, die vier Jahre älter ist als Normen, und einem befreundeten Pfarrer dort.

Heute ist der Sterbeort für die Familie immer noch wichtig. Denn die Trauer hört Wolfgang Stoppa zufolge nie auf. Geholfen hat der Familie bei der Verarbeitung von Normens Tod eine Selbsthilfegruppe des Vereins „Leben ohne dich“ – und die Gedenkstätte am Unfallort: „Ich fühle mich ihm dort einfach sehr nah.“

Das sei bei Angehörigen von Unfallopfern häufig so, sagt Peter Schüßler – auch bei Großunglücken wie dem Germanwings-Absturz. „Dort ist der geliebte Mensch gestorben, dort hat er die letzten Atemzüge getan.“ Deshalb bestehe am Unfallort für viele eine besondere, spirituelle Verbindung. „Dazu kommt: Bei Unglücken besteht keine Möglichkeit zum Abschiednehmen, im Moment des Todes ist man nicht da“, sagt Schüßler, „das holen viele dann am Sterbeort nach.“

Mehr als 1000 Kerzen angezündet

Unfallkreuze für Verkehrstote sind dem Traumapsychologen zufolge ein relativ junges Phänomen der letzten 20 Jahre. Die Kreuze stünden aber in langer Tradition. „Schon im Mittelalter wurden zum Beispiel für überfallene Kaufleute Wegekreuze aufgestellt“, sagt Schüßler. Die öffentliche Trauer über einen unerwarteten und oft als ungerecht empfundenen Todesfall sei damals wie heute Anlass, eine solche Markierung aufzustellen.

Wie lange die Kreuze stehen, hängt nicht nur von den Aufstellern ab. Wie Alfred Overberg vom Landesbetrieb Straßen NRW erklärt, würden die Kreuze zwar geduldet, bedeuteten aber auch ein Hindernis. Solange sie die Verkehrssicherheit nicht gefährdeten oder etwa eine Baustelle behinderten, würden sie allerdings nicht entfernt. Müsse ein Kreuz entfernt werden, geschehe das, soweit möglich, in Absprache mit den Angehörigen, so Overberg.

Geht es nach Wolfgang Stoppa, wird an Normens Sterbeort noch lange ein Kreuz an ihn erinnern. „Solange ich es kann, werde ich die Gedenkstätte pflegen.“ Nächstes Jahr wird er 60 Jahre alt. Normen wäre dann 29, hätte wohl seine Ausbildung beendet, vielleicht eine Familie gegründet. Mehr als 1000 Kerzen hat die Familie am Unfallort seit seinem Tod angezündet. Zum achten Todestag vor zwei Monaten stand eine Anzeige in der Zeitung, wie jedes Jahr. Darin schrieben die Eltern: „Wir schauen in die Sterne und sehen dein Gesicht, hören den Wind, der deinen Namen spricht, atmen die Luft, sie riecht nach dir, du bist überall, nur nicht hier.“

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