Frau IBuK im Nahkampf Ursula von der Leyen ist jetzt drei Monate Verteidigungsministerin

BERLIN · Das Mobiltelefon ist jetzt immer eingeschaltet. Auch nachts. Auch an Feiertagen. An Ostern. An Pfingsten. An Weihnachten. Immer. 24 Stunden erreichbar an 365 Tagen im Jahr. Das ist ein Preis, den die Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt (IBuK) in Friedenszeiten für ein solches Amt zahlen muss.

Wie ihre Vorgänger auch, seit die Welt mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 in den USA eine andere geworden ist. Ursula von der Leyen befindet sich im Modus permanenter Einsatzbereitschaft, seit die 55 Jahre alte CDU-Politikerin am 17. Dezember vergangenen Jahres als Bundesministerin der Verteidigung vereidigt wurde - als erste Frau in der Geschichte der Bundesrepublik.

Bei einem sogenannten "Renegade"-Fall wie im Januar 2003, als ein verwirrter Mann mit einem entführten Sportflugzeug stundenlang über der Innenstadt von Frankfurt kreiste, muss eine Verteidigungsministerin schnell erreichbar sein. Und eine Entscheidung fällen.

Dieser "Renegade" (Deutsch: "Abtrünniger") über Mainhattan löste in Deutschland eine Debatte darüber aus, ob eine entführte zivile Passagiermaschine, die von Terroristen als Waffe gegen ein Atomkraftwerk oder eine Schule gelenkt werden könnte, für Militärflugzeuge zum Abschuss freigegeben werden dürfe, um größeren Schaden zu vermeiden. Von der Leyen hofft, dass sie über einen solchen Fall nie befinden muss. Verständlich.

Wie war das Wort gleich nochmal? "Mordsrespekt." Ein schwieriger Begriff, wenn jemand dabei ist, den höchsten Regierungsposten zur Verteidigung des Landes in Friedenszeiten zu übernehmen. Ein Amt, bei dem es eben auch um Entscheidungen über Leben und Tod gehen kann. Auch für die knapp 5000 Soldatinnen und Soldaten, die der Bundestag aktuell in Einsätze auf drei Kontinente geschickt hat. Mordsrespekt also?

"Das ist eine Riesenaufgabe. Ich freue mich darauf, aber ich muss auch sagen, ich habe einen Mordsrespekt auch davor, was da jetzt auf mich zukommt", sagte von der Leyen, als kurz vor der Regierungsbildung bekannt wird, dass Thomas de Maizière (CDU) seinen Platz für die bisherige Arbeits- und vormalige Familienministerin räumen muss. Die Bundeskanzlerin hat es so verfügt.

Seither ist von der Leyen dabei, sich in die Tiefen und auch Untiefen eines sehr komplizierten Ministeriums zu begeben. Kaum einer ihrer Vorgänger hat den Schleuderstuhl IBuK ohne Schrammen wieder verlassen. Einige mussten nach selbst gemachten oder unverschuldeten Affären, Skandalen oder Unfällen vorzeitig ihren Sessel räumen.

Zuletzt war selbst ein bis dato für seine saubere Amtsführung anerkannter Thomas de Maizière wegen des Milliarden-Debakels um die Aufklärungsdrohne "Euro Hawk" in arge Bedrängnis geraten und musste sich vor einem Untersuchungsausschuss rechtfertigen. Von der Leyen hat mit dem ersten Tag an der Spitze des Verteidigungsministeriums eine für sie fremde Welt betreten. Sie ist Chefin eines Ministeriums geworden, in dem das politische Scheitern wegen vieler Unwägbarkeiten, auch in Auslandseinsätzen, Teil der Karriereplanung sein muss.

Gut möglich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch daran gedacht hat, als sie mit von der Leyen eine Kandidatin auf den Chefsessel des Verteidigungsministeriums hievte, deren Ehrgeiz auch für die nächste Stufe reichen würde. Doch bei Merkel ist keinerlei Amtsmüdigkeit zu erkennen. Es kann gut sein, dass sich die Union, wenn die Ära Merkel eines Tages zu Ende geht, erst einmal neu sortieren muss. Merkel wird in diesem Sommer 60 Jahre alt, von der Leyen wird im Herbst 56. Bis zur Wahl 2017 sind es dann noch drei Jahre. Da kann viel passieren.

Doch von der Leyen will die Dinge gestalten und sich nicht der vermeintlichen Unberechenbarkeit von Rüstungsprojekten hingeben. Die neue IBuK war gerade zwei Monate im Amt, da holte sie zum ersten richtigen Paukenschlag im neuen Haus aus.

Überschriften produzieren, die Medien mit Ideen und Initiativen beschäftigen, das konnte von der Leyen schon zu Zeiten, als sie sich als Bundesarbeitsministerin gegen die damalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) beispielsweise für eine gesetzliche Quote für Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen börsennotierter Unternehmen aussprach. Doch an jenem Februar-Tag setzte die ausgebildete Ärztin ein Ausrufezeichen im politischen Berlin. Von der Leyen trennte sich von Rüstungsstaatssekretär Stéphane Beemelmans wie auch vom Abteilungsleiter Ausrüstung und Informationstechnik, Detlef Selhausen. Ihr fehlendes Vertrauen in beide Spitzenbeamten drückte sie unmissverständlich aus.

Der unter Vorgänger de Maizière angeschobene Prozess von Transparenz und Planungssicherheit bei Rüstungsprojekten sei "gut und richtig. Aber meine Erfahrung der vergangenen Wochen ist, dass wir einen personellen Neustart brauchen, damit dieser Prozess auch von allen im Haus gelebt werden kann." Spätestens da musste jedem im Ministerium klar geworden sein: Von der Leyen führt mit einer Härte, die sie hinter ihrem Lächeln gut versteckt.

Frau IBuK greift durch. Klartext gegen Intransparenz und lange verschleierte Probleme. Sie verweigerte allen Zwischenberichten zu den 15 Großvorhaben wie Militärtransport A400M, den Hubschraubern NH90 und Tiger oder Fregatte 125 ihre Zustimmung. Ihre Order: Wiedervorlage.

Dabei hatte von der Leyen schon bei ihrem ersten Auslandsbesuch bei der Truppe zwei Tage vor Heilig Abend in Afghanistan erkennen lassen, dass Kosten allein nicht ihr Argument sein werden: "Das Wichtigste ist der Mensch. Und nicht die Frage der Materialkosten." Menschenleben sind nicht ersetzbar, eine abgestürzte Drohne schon. In Afghanistan sind seit Beginn des deutschen Einsatzes Anfang 2002 bisher 55 Soldaten im Kampf gefallen oder bei Unfällen getötet worden. Eine Verteidigungsministerin muss den Angehörigen in die Augen sehen können. Und wenn es noch so schwer und der Verlust noch so unerklärlich ist.

Die nächsten Einsätze kommen garantiert. Dieser Tage war von der Leyen in der Türkei, 100 Kilometer vor der syrischen Grenze, wo "Patriot"-Flugabwehrstellungen den Nato-Partner Türkei vor Angriffen aus dem Bürgerkriegsland Syrien schützen sollen.

Mit an der Front auch 300 deutsche Soldaten. Von der Leyen warnte, im Angesicht der Krim-Krise den Bürgerkrieg und das Leiden der Menschen in Syrien zu vergessen. Und auch Afrika ist ein Kontinent, der die Deutschen an der Seite ihrer alliierten Waffenbrüder aus Frankreich noch stärker fordern könnte.

Anfang Februar flog von der Leyen zur Lage- und Truppeninspektion nach Senegal und Mali. Und auch in das Chaos in der Zentralafrikanischen Republik soll Deutschland für eine Überbrückungsmission bewaffnete Streitkräfte schicken. Jeder Einsatz ein Risiko. Auch für von der Leyen.

Fitness ist nicht alles

Weil die Bundeswehr als Arbeitgeber attraktiver werden soll, will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Einstellungskriterien überprüfen. "Beispiel körperliche Fitness: Es stellt sich die Frage, ob jeder einzelne Soldat und jede einzelne Soldatin, gleich welche Aufgabe sie im Riesenkonzern Bundeswehr ausfüllt, tatsächlich einen langen Marsch mit schwerem Gepäck bewältigen können muss", sagte von der Leyen der "Rheinischen Post".

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