Proteste gegen drohende US-Intervention in Syrien Unruhen in der Türkei entflammen erneut

ISTANBUL · Drei Monate nach den schweren regierungsfeindlichen Unruhen in der Türkei im Juni flammen die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei wieder auf. Ein junger Mann starb bei den Unruhen.

 In Antakya kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei.

In Antakya kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei.

Foto: dpa

Im südtürkischen Antakya wurde in der Nacht zu gestern ein 22-jähriger Demonstrant während einer Straßenschlacht getötet; nach Angaben der Protestbewegung wurde er von einer Tränengaskartusche der Polizei am Kopf getroffen. Auch in Istanbul und Ankara gab es Zusammenstöße - die Voraussagen eines "heißen Herbstes" für die Türkei scheinen sich zu bestätigen.

In Antakya hatten sich gestern Abend mehrere hundert Menschen zu einer Protestkundgebung versammelt. Sie richtete sich gegen die drohende US-Intervention im benachbarten Syrien sowie gegen Pläne der türkischen Regierung zum Bau einer Straße durch ein baumbestandenes Universitätsgelände in Ankara.

Das Projekt in der türkischen Hauptstadt hat sich in den vergangenen Wochen zu einem neuen Thema für die Protestbewegung entwickelt, die der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vorwirft, ihre Politik ohne Rücksicht auf Andersdenkende durchzuziehen.

Wie schon bei den Protesten gegen das Bauprojekt im Istanbuler Gezi-Park, das im Juni die landesweiten Unruhen auslöste, reagiert die Polizei auf die neuen Demonstrationen meist mit Gewalt. Auch in Antakya gingen die Beamten mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die nicht angemeldete Kundgebung vor. Der 22-jährige Ahmet Atakan wurde kurz nach Mitternacht mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus gebracht, wo er starb.

Die "Taksim Platformu", ein Dachverband der Protestbewegung, erklärte, Atakan sei von einer aus nächster Nähe abgefeuerten Tränengaskartusche getroffen worden. Schon im Juni war kritisiert worden, dass türkische Polizisten mit ihren Tränengasgewehren häufig direkt in die Menge der Demonstranten hinein schießen, statt über die Köpfe der Menschen hinweg wie vorgeschrieben.

Die Behörden erklärten, Atakan sei vom Dach eines Hauses gestürzt - doch an dieser Darstellung wurden rasch Zweifel laut. Ein Arzt wurde nach einer ersten Obduktion der Leiche mit den Worten zitiert, es seien keine Spuren eines Sturzes wie gebrochene Arm- oder Beinknochen festgestellt worden. In Regierungskreisen wurde dagegen an der Version von dem Dachsturz festgehalten; ein Erdogan-Berater warf der Protestbewegung "Provokationen" vor.

Atakan war der sechste Demonstrant, der seit Juni bei den Unruhen starb; auch ein Polizist kam damals ums Leben. Im westtürkischen Eskisehir beantragte die Staatsanwaltschaft jetzt lebenslange Haft für einen Polizisten, der im Juni einen jungen Demonstranten zu Tode geprügelt haben soll.

In Istanbul mündete ein Gedenkmarsch linker Gruppen für ein anderes Opfer der Polizeigewalt in schweren Straßenschlachten im Stadtteil Okmeydani. Dabei bewarfen einige Demonstranten die Polizei mit Molotow-Cocktails, Steinen und Feuerwerkskörpern.

Die unnachgiebige Härte der Polizei und die Gewaltbereitschaft eines Teils der Demonstranten lassen erwarten, dass sich die Auseinandersetzungen auch in den kommenden Wochen weiter fortsetzen werden. Die "Taksim Platformu" appellierte deshalb an die Regierungsgegner, ihren Protest gewaltlos und in "kreativen Aktionen" auszudrücken.

Von der Polizei ist dagegen kein Umdenken zu erwarten, sind sich Regierungsgegner einig. Früher habe die Polizei nach der Misshandlung von Festgenommenen die Ausrede präsentiert, die Betroffenen seien aus dem Fenster gesprungen - jetzt werde gesagt, Opfer von Polizeigewalt seien vom Dach gefallen, erklärte der Politologe Aziz Celik mit Blick auf den Tod von Atakan in Antakya.

Ein Ausweg aus der Konfrontation ist nicht in Sicht. Nach einer Phase der relativen Ruhe seit Ende Juni gerät so die Spirale Gewalt und Protesten wieder in Bewegung: Mitglieder der Protestbewegung kündigten nach dem Tod Atakans für die nächsten Tage neue Demonstrationen in Istanbul und Ankara an.

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