Konflikte in Ukraine und Irak US-Präsident Obama steckt in der Klemme

WASHINGTON · Er will gegen die Terrormiliz IS vorgehen, braucht dazu aber Hilfe von Despoten in der Region

Commander-in-Chief oder Zauderer vom Dienst? Was Barack Obama just zu den Dauer-Brandherden Ukraine und "Islamischer Staat" verlauten ließ, hat über Washington hinaus für Irritationen gesorgt. In der Ukraine-Krise will der US-Präsident weiter an der Sanktionsschraube drehen, um den Expansionsdrang Wladimir Putins zu bremsen. Eine militärische Antwort schließt er kategorisch aus. Obwohl die Nato Anzeichen für eine Invasion Russlands erkennt und Amerikas Botschafterin bei den Vereinten Nationen den Kreml offen der Lüge und der Kriegstreiberei zeiht.

Im Konflikt um den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien und im Irak erteilte der Oberbefehlshaber einer seit Tagen diskutierten und von Außenminister Kerry, Verteidigungsminister Hagel und Generalstabschef Dempsey ideologisch vorbereiteten Ausweitung der Militäraktion gegen die Radikal-Islamisten bis auf weiteres eine Absage. "Wir haben noch keine Strategie", sagte Obama, der nach der Enthauptung von James Foley den IS mit einem "Krebs" verglich, den es zügig zu "entfernen" gelte. Folgt der propagierten Radikal-Therapie nun das bekannte Erst-mal-den-Patienten-weiter-beobachten?

Im Kongress stieß Obamas Bremsvorgang auf "Entsetzen" (Senator John McCain). Keine Strategie gegen die "schlagkräftigste Terrorgruppe aller Zeiten" (Mike Rogers, Vorsitzender des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus), zu haben, sei "schockierend". Was die Ukraine angeht, springen auch Obama-freundliche Leitmedien wie die "Washington Post" auf den Zug der Kritiker.

Als Mindestantwort auf die von Putin bewusst vor den Nato-Gipfel nächste Woche gesetzte Provokation wird dort unisono verlangt: die Belieferung der Ukraine mit Waffen und Geheimdienst-Informationen, die Ausweitung der Wirtschaftssanktionen auf die Gas-Industrie, der komplette Stopp von Rüstungsexporten des Westens nach Russland und die Stärkung der militärischen Fähigkeiten der Nato an deren Ostgrenze. Immer versehen mit dem Zusatz: Wenn Putin weiter die Ukraine destabilisiert.

In eine Rhetorik der "roten Linien" will sich Obama nach der Erfahrung mit Assads Giftgas-Lagern aber nicht mehr verstricken lassen. Und sein Lavieren, Außenminister Kerry soll nun im Nahen Osten eine Koalition der Willigen gegen den IS aufbauen, während Pentagon-Chef Hagel sämtliche Militär-Szenarien auszuarbeiten hat, findet auch Fürsprecher. Was genau soll das Ziel einer Ausweitung der militärischen Aktionen in Syrien und im Irak sein? Mit welchen Kräften ist danach auf dem Spielfeld rechnen? Darf der Diktator Assad dann noch eine Rolle spielen? "Nichts davon", sagen Experten diverser Washingtoner Denkfabriken, "ist bis heute beantwortet."

Obwohl die Geheimdienste Milliarden-Budgets verschlingen, wisse das Weiße Haus kein verlässliches Bild über Stärke und Strategie der IS-Terroristen zu zeichnen. Ein gefährlicher Mangel. Gerade in Syrien sei es leicht, das Richtige zu tun (IS vernichten) und das Falsche zu erzeugen (Assads Machterhalt). "Ein Unrechts-Regime als Waffenbruder zu behandeln, eine solche Kriegsallianz würde Obamas Restlaufzeit im Weißen Haus zur Tortur machen", sagt ein Nahost-Experte des Cato-Instituts. Aber was soll stattdessen geschehen?

Gut möglich, dass Obama Gefallen findet an einer Idee, die der frühere Clinton-Berater Kenneth Pollack jetzt zu Papier gebracht hat. Danach müsse es Ziel des Weißen Hauses sein, parallel sowohl Assad als auch den "Islamischen Staat" entscheidend zu schlagen. Gelingen könne dies nur über eine neue, starke syrische Armee, die den religiösen Mehrheitsverhältnissen Rechnung trägt, und von den USA in den Nachbarländern Jordanien und Türke ausgebildet wird. Mindestdauer bis zur Einsatzfähigkeit: zwei Jahre. Dann wäre Obamas Amtszeit fast am Ende.

Chronologie

Nach dem Sturz der moskautreuen Führung in Kiew am 22. Februar ist der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eskaliert. In der Ostukraine sind seit Beginn der Kämpfe nach UN-Angaben fast 2600 Menschen ums Leben gekommen. Ein Rückblick:

Februar 2014: Wenige Tage nach dem Umsturz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geraten auf der Krim Anhänger und Gegner einer Annäherung an Russland aneinander.

16. März: Die Krim stimmt in einem Referendum für einen Beitritt zu Russland.

6. April: Bei Demonstrationen im russischsprachigen Osten der Ukraine besetzen moskautreue Aktivisten Verwaltungsgebäude in den Millionenstädten Charkow und Donezk.

13. April: Die Ukraine beginnt einen "Anti-Terror-Einsatz" gegen prorussische Separatisten.

24. Mai: Donezk und Lugansk vereinigen sich am Tag vor der Wahl von Petro Poroschenko zum neuen Präsidenten der Ukraine zu "Neurussland".

16. Juni: Russland hat seine Gaslieferungen an die frühere Sowjetrepublik eingestellt.

17. Juli: Eine Passagiermaschine der Malaysia Airlines stürzt im Osten der Ukraine ab. Es gibt 295 Tote. Kiew und die Separatisten werfen sich gegenseitig einen Abschuss des Flugzeugs vor.

5. August: Russland hat nach Informationen der "New York Times" bis zu 21 000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Kiew spricht sogar von 45 000 russischen Soldaten.

8. August: Kiew droht Russland mit einem Stopp des Transits von Gas und Öl nach Westeuropa.

15. August: Die Ukraine behauptet, sie habe russische Militärfahrzeuge auf ihrem Gebiet zerstört. Moskau dementiert.

22. August: Ein russischer Hilfskonvoi überquert ohne Erlaubnis die Grenze zur Ostkraine. Kiew spricht von einem Bruch des Völkerrechts.

26. August: Die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenko, treffen sich in Minsk zum ersten Gespräch seit drei Monaten

28. August: Russland hat aus Nato-Sicht mehr als 1000 eigene Soldaten mit schweren Waffen in die Ostukraine geschickt. dpa

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