Gottesdienst in USA wird zur Anklage Trauerfeier für Michael Brown ist Schrei nach Gerechtigkeit

FERGUSON · Und zeigt: Amerika ist ein zerrissenes Land. Spike Lee sprang so begeistert auf, als säße er am Basketball-Spielfeldrand seiner geliebten New York Knicks. Was den schwarzen Filmregisseur aus seinem Stuhl in der Friendly Temple-Baptistenkirche in St. Louis riss, war die Mischung aus Trost, Brandpredigt und politischem Kampfgelübde, mit der ein kleiner, spirgeliger Mann Amerika vor laufenden Kameras aller großen TV-Sender in den Senkel stellte.

 Vom Schmerz überwältigt: Lesley McSpadden, Michael Brownes Mutter, bei der Trauerfeier für ihren Sohn.

Vom Schmerz überwältigt: Lesley McSpadden, Michael Brownes Mutter, bei der Trauerfeier für ihren Sohn.

Foto: dpa

"Michael Brown", rief Reverend Al Sharpton am Montag der 5000 Köpfe zählenden Trauergemeinde mit bebender Stimme zu, "darf nicht in Erinnerung bleiben als Grund für Krawalle". Sondern als derjenige, "der den Wandel bei der Polizei in Gang gesetzt hat". Frenetischer Beifall.

Der zwischen Seelenschmerz, Andacht und der Ekstase treibender Gospelgesänge pendelnde Trauergottesdienst für den vor zwei Wochen im Vorort Ferguson von sechs Polizeikugeln getroffenen 18-jährigen Afro-Amerikaner hatte seinen Gänsehaut-Moment erreicht.

Hunderte drängelten sich schon am Morgen bei stickig-schwülen Temperaturen vor dem schlichten Gotteshaus an der Straße 5515 Martin Luther King Drive. Wie treffend. Wenn in Amerika eine Adresse zum Innehalten verpflichtet, dann gewiss die nach dem wirkungsmächtigsten Träumer und Kämpfer für Gleichheit zwischen den Rassen benannte. 50 Jahre nach Dr. Kings Ruckreden fiel die Rückbesinnung jedoch deprimierend aus.

In Anwesenheit von Abgesandten des Weißen Hauses, Kongress-Politikern und Galionsfiguren des afro-amerikanischen Establishments wie Ex-Präsidentschaftskandidat Jesse Jackson und HipHop-Mogul P. Diddy holte Sharpton das Bibellastige seiner Vorredner schrill aufs weltliche Parkett zurück und klagte frontal an: "Die faulen Äpfel müssen aussortiert werden", rief er mit Blick auf Polizisten, die nicht nur in Ferguson zuletzt durch nachweislich unverhältnismäßige Gewalt gegen Schwarze für Empörung gesorgt hatten.

Für den Sharpton (59), Ziehsohn von Box-Promoter Don King und Soul-Ikone James Brown, selber Pastor, Fernsehmoderator und Korsettstange der Bürgerrechtsbewegung, steht der Fall Brown nicht nur für Rassismus und polizeiliche Voreingenommenheit.

Als er daran erinnerte, wie der 18-Jährige nach der Erschießung wie ein totes Tier stundenlang auf der Straße liegengelassen wurde, bevor sich der Gerichtsmediziner über ihn beugte, kam die Verrohung zum Vorschein, die in Ferguson geherrscht haben muss. Mit einem schlichten "We Shall Overcome" auf den Lippen ist dem nicht beizukommen, weiß Sharpton. "Protest muss in neue Gesetze einmünden. Wir brauchen einen langen Atem."

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